Sayuri
sagst du?«, fragte er nach. »Was ist mit dem Kaiser, Sayuri?«
Ihr Blick glitt zu einem der Wachtürme an der Palastmauer, die aus der Ferne zu ihnen herüberragte, dann rannte sie los. Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie immer schneller wurde, ohne sich zu kümmern, ob ihre Freunde ihr folgen konnten.
Marje tauschte einen hilflosen Blick mit Kiyoshi. Verbissen versuchten sie, der schmalen Gestalt zu folgen, die mit wehenden Haaren vor ihnen herlief.
Wie schnell Sayuri war – fast schien sie über das Pflaster zu fliegen.
Sie passierten die Soldaten der Stadtwache und sie bemerkte, wie Kiyoshi mit einer Hand die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hielt und mit der anderen nach dem Dolch tastete, den er unter dem Umhang verborgen hatte.
Marje versuchte, Sayuri nicht aus den Augen zu lassen. Sie wagte nicht einmal, ihr nachzurufen, um die Aufmerksamkeit der Soldaten nicht auf sie zu lenken.
Geschickt wich Sayuri den entgegenkommenden Menschen aus, sprang über ein Boot und überquerte den Fluss über eine der schmalen Holzbrücken. Erst als sie auf der anderen Seite war, wandte sie sich kurz um.
Marje war sich nicht sicher, ob die Geste, die sie machte, ihnen bedeuten sollte, zurückzugehen oder sich zu beeilen. Kiyoshi jedenfalls zögerte nicht. Schon rannte er hinterher über den Fluss.
Sayuris Blick traf Marjes. Ungeduld spiegelte sich in ihren blassblauen Augen. Dann wandte sie sich um, doch in dem Moment, in dem sie losrennen wollte, prallte sie mit einem Mann zusammen, der gerade in diesem Moment in die Straße eingebogen war. Beide stürzten und fielen zu Boden.
Keuchend lief Marje los und erreichte Sayuri und Kiyoshi, als der Fremde sich gerade aufrichtete.
Mit einer Hand rieb er sich eine Beule am Kopf, mit der anderen stützte er sich am Boden ab. Sein Blick glitt über die Bücher, die er vor sich auf den Armen getragen hatte und die nun auf der Straße verstreut lagen.
»Shoan!« Marje starrte in das eingefallene Gesicht. Seit ihrem letzten Treffen schien ihr Freund noch magerer geworden zu sein.
»Marje!« Ungläubig schaute er sie ein paar Sekunden lang an, dann klopfte er sich den Staub von der Kleidung und stand auf. »Ich kann es nicht glauben!«
Marje lachte. »Ich auch nicht wirklich!«
Erst jetzt schien Shoan zu bemerken, mit wem er da zusammengeprallt war. »Sayuri! Ich habe dich gar nicht erkannt. Bist du verletzt?«, fragte er besorgt.
Sayuri schüttelte den Kopf. Der unvermittelte Zusammenprall schien sie ein bisschen zur Besinnung gebracht zu haben. Doch die kindliche Freude, die noch am Schlund auf ihrem Gesicht gelegen hatte, war völlig verflogen. Ein dunkler Schatten hatte sich über ihre blassen Züge gelegt und sie schien mit sich zu ringen.
Marje musterte sie besorgt, aber da packte sie Shoan an der Schulter und zog sie in seine Arme. »Ach, Marje«, rief er aus. »Ich dachte, die Soldaten hätten dich geschnapppt.«
»Du erdrückst mich ja«, wehrte sie endlich lachend seine Umarmung ab.
Er hielt sie ein Stück von sich.
»Wo kommt ihr eigentlich her? Wo habt ihr all die Tage gesteckt? Thar ist fast gestorben vor Sorge! Und warum …«
»Lasst uns das woanders besprechen«, unterbrach Kiyoshi ihn. Er hatte während ihres kurzen Wortwechsels Sayuri auf die Beine geholfen und die Bücher eingesammelt. »Wir sollten besser weiter.« Nervös schaute er die Straße entlang, während Marje Shoan in Kürze erzählte, was vorgefallen war.
Shoan starrte Marje ungläubig an, als sie ihm von ihrer Reise durch die Wüste erzählte, doch als sie von den Zentauren zu sprechen begann, schien er völlig fassungslos.
»Es gibt sie also wirklich, die Zentauren? Ich dachte immer, das wären nur Ammenmärchen …«, stammelte er.
Marje nickte und plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der sie in Panik versetzte. Die meisten Menschen hier wussten gar nicht, dass es Zentauren tatsächlich gab. Wenn die riesigen Mischwesen in die Stadt kamen, würden die Menschen womöglich vor Angst nach ihren Waffen greifen.
»Du musst Thar Bescheid geben«, wandte sie sich an Shoan. »Und die anderen zusammentrommeln. Die Zentauren kommen in die Stadt.«
»Was?«
»Die Zentauren sind auf unserer Seite«, erklärte Marje ihm. »Sie werden niemandem etwas zuleide tun, der keine Rüstung trägt. Wir dürfen uns ihnen nur nicht in den Weg stellen.«
»Und bitte – wenn du deine Leute sprichst, sag ihnen auch, sie sollen die Zentauren zum Palast führen«, fügte Kiyoshi hinzu.
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