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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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Vorher schickte sie allerdings Shio zu Thar und Shoan, um sie darum zu bitten, eine Versammlung für den nächsten Tag einzuberufen. Obwohl das Irrlicht von seinem Auftrag nicht gerade begeistert war, blinkte es schließlich zustimmend und dimmte sein Licht auf einen winzigen Funken, um im Flug nicht zu viel Kraft zu verbrauchen.
    Mit einem Seufzen trat Marje ans Fenster und schaute dem immer schwächer werdenden Lichtpunkt hinterher. Ruans Worte hatten sie zwar verärgert; trotzdem war die Frage berechtigt, warum man nicht nach ihr suchen ließ. Konnte es wirklich sein, dass Miro lediglich verhindern wollte, dass in der Stadt bekannt würde, wie sein Erbe auf offener Straße niedergestochen worden war? Oder ging es ihm um die Ehre seines Erben?
    Irgendwo dort draußen war er jetzt.
    Der Prinz. Der Neffe des Kaisers. Miros Erbe.
    Was spielst du für ein Spiel?, fragte sie stumm in den Nachthimmel hinein.
    Irgendwo sah auch er vielleicht zu den Sternen hinauf oder schmiedete Pläne, von denen sie nichts wusste.
    Was hast du vor? Warum hast du keine Wachen geschickt, um mich festzunehmen?
    Der Blick des Jungen hatte ihr ganz deutlich gezeigt, dass er sie erkannt hatte. Und doch hatte er bisher scheinbar nichts unternommen, um nach ihr suchen zu lassen. Selbst wenn der Kaiser den Überfall auf seinen Neffen nicht publik machen wollte, würde er sie dennoch jagen lassen, alleine um zu verhindern, dass sie sich mit ihrer Tat rühmte. Und er würde sie finden.
    In diesem Moment spürte sie Sayuris Hand auf ihrem Arm. Mit einem Blick deutete das Mädchen zur Treppe. Marje nickte zustimmend. Es war spät geworden und sie musste morgen noch vor Morgengrauen zur Versammlung ins Westviertel, um zu sehen, was Shoan und Thar erreicht hatten.
    Sie mussten einen Weg finden, um allen zu helfen, die es treffen würde.
    Ihr Blick streifte ihre Freundin, als sie die schmale Treppe hinaufstiegen. Nur eine Kerze in Sayuris Hand leuchtete ihnen den Weg durch die verlassenen zwei Stockwerke des Hauses. Wie alt war sie eigentlich? Marje wusste es nicht. Vielleicht weil Sayuri noch nie einen Geburtstag gefeiert hatte. So lange Marje sich erinnern konnte, war Sayuri einfach da gewesen. Tag für Tag saß sie in diesem Laden und war still mit irgendeiner Arbeit beschäftigt. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie das Geschäft alleine weitergeführt. Ihre Schüchternheit ließ sie oft viel jünger wirken, als sie wahrscheinlich war, während ihre blassen, feinen Gesichtszüge hin und wieder schon sehr erwachsen schienen. Und manchmal sprach das helle Leuchten ihrer Augen von einem Alter, das sie unmöglich haben konnte.
    Nachdenklich strich sich Marje eine Locke aus dem Gesicht, als sie auf das Dach hinaus in Lauryns Licht trat. Nun stand sie mitten in Sayuris grünem Garten. Die Pflanzen streckten sich dem blauen Mondlicht entgegen, als wollten sie es in sich aufsaugen, und auch Sayuri sah für einen Moment mit geschlossenen Augen dem Mond entgegen, der ihr neue Kraft zu geben schien. Dann kletterte sie über einen halbhohen Busch hinweg unter einen Baum, dessen Äste bis tief unten auf den Boden reichten und eine schützende Höhle bildeten.
    Marje folgte ihr und streckte sich auf dem duftenden Bett aus Gras aus. Die Monde, die Wächter der Nacht, standen über ihnen und sahen auf die Stadt hinab, in der an diesem Abend alles anders war als in den Jahren zuvor. Die Kundgebung des Kaiserbruders hatte jede Freude und jede Feststimmung aus den Herzen der Menschen vertrieben.
    Marje schlüpfte aus ihrem Mantel, um ihn wie eine Decke über sich auszubreiten. Sie warf einen letzten Blick auf Lauryn, schloss ihre Augen und horchte auf Sayuris gleichmäßige, ruhige Atemzüge. Irgendwann sank auch sie in einen unruhigen Schlaf.

5. Kapitel
    D as Boot legte im kleinen Hafen des Palastes an, und noch bevor der Soldat das Tau festgezurrt hatte, war Kiyoshi an Land geklettert. Trotz der schmerzenden Wunde überquerte er mit schnellen Schritten die Wiese auf der Insel und sprang über die Steine, die einen trockenen Weg durch den Fluss boten. Das ganze Palastareal wurde von Shanus Wasserarmen durchzogen, sodass es unzählig viele Inseln gab, von denen manche groß genug waren, um Säle darauf zu errichten; andere hingegen waren so klein, dass nicht mehr als ein Baum darauf Platz fand. Manchmal gab es weder Steine im Flussbett noch Brücken oder Stege, aber auch ohne diese Verbindungen konnte man oft von Insel zu Insel springen oder den Ast eines Baumes zu

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