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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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wird die Quelle versiegen.«
    »Wer muss die Stadt verlassen?«, fragte sie in den Aufschrei des Protestes hinein.
    »Die Sechzehnjährigen«, kam die unwirsche Antwort von einem Mann neben ihr. »Sie schwächen die Quelle.«
    Ein eisiger Schauer überlief sie. »Wie, die Sechzehnjährigen?«, wiederholte sie fassungslos. Ihr Blick raste von Miro zu dem Prinzen, der sie noch immer unverwandt anschaute.
    »Wir haben keine andere Wahl«, kam Miro nun zum Ende seiner Rede.
    Marje konnte sich nicht entsinnen, den Kaiser jemals so sehr aus tiefstem Herzen gehasst zu haben wie in diesem Moment.
    Er war also zu schwach, um die Quelle weiterhin aufrechtzuerhalten. Ach wirklich? Höchstwahrscheinlich konnte er den Reichen nicht mehr ausreichend Wasser für ihr tägliches Bad bieten – und deshalb sollten nun alle Sechzehnjährigen die Stadt verlassen! Und es war klar, wen es als Ersten treffen würde. Vielleicht war das Ganze sogar nur eine Ausrede, um ein paar Menschen aus der überfüllten neuen Stadt zu verbannen!
    Marjes Körper bebte vor Wut. Einen letzten Blick warf sie dem Prinzen noch zu, dann wirbelte sie herum und bahnte sich einen Weg aus der Menge. Shio, der den ganzen Abend über an ihrer Seite gewesen war, konnte ihr kaum folgen. Sie stürmte die Straße hinab, wollte nur noch weg vom Wasser, weg von dieser Prozession und vor allem weg von dem Jungen mit den unheimlichen grünen Augen.
    Der Zorn in ihr wuchs mit jedem Schritt, den sie machte, und sie ballte die Hände vor Zorn zu Fäusten. Den ganzen Tag hatte sie Gewissensbisse gehabt. Hätte sie nur gewusst, dass es nicht einfach nur ein junger Soldat gewesen war, der ihr letzte Nacht gegenübergestanden hatte, dann …
    Marje hielt keuchend an. Die Lichter vom Fluss waren längst hinter ihr verblasst und die Gassen, die vor ihr lagen, waren menschenleer. Sie fühlte sich so entsetzlich hilflos. So machtlos!
    Milan! Sie musste unbedingt Milan finden! Sie mussten einen Plan schmieden, mussten etwas unternehmen …
    Kurz ging sie ihre Möglichkeiten durch. Dann drehte sie sich um und schlug die Richtung zu Sayuris Laden ein. In dieser Gegend der alten Stadt hatte sich die Mittelschicht niedergelassen, vorwiegend Handwerker und kleinere Händler. Die Häuser waren niedriger als in der Nähe des Palastes, doch die meisten von ihnen waren gut instand gehalten. Bunte Vorhänge und Fensterläden schmückten die Fassaden, geschwungene Schilder wiesen auf diverse Dienstleistungen hin. Sauberkeit und bescheidener Wohlstand, das war es, was das Viertel prägte.
    Marje durchquerte Gassen, lief über hölzerne Brücken und hastete durch Hinterhöfe. Über ihr standen die beiden Monde in ihrer vollen Pracht und schienen regungslos das Geschehen in den Straßen zu beobachten.
    Zu ihrem Erstaunen war die Tür zu Sayuris Laden weit geöffnet, im Inneren des kleinen Raumes brannten mehrere Lichter. Gerade, als sie den Eingang erreichte, erschien eine große Gestalt und Marje hielt inne.
    »Milan«, keuchte sie, ehe sie ihn stürmisch umarmte.
    Sie hatte es gewusst! Sie hatte gewusst, dass er hierherkommen würde.
    Kurz erwiderte er die Begrüßung und ein Lächeln huschte über sein blasses Gesicht. »Gut, dass du da bist«, sagte er knapp. »Ich habe eine Versammlung einberufen – Sayuris Laden war der Ort, der am nächsten lag.«
    Tausend Fragen zu seiner Flucht aus der Zinade lagen ihr auf der Zunge, doch Milan hatte sie bereits ins Haus geschoben und die Tür hinter ihnen leise zugezogen. Shio erhob sich von ihrer Schulter und flog hinüber zum wärmenden, stärkenden Licht einer Kerze.
    Die jungen Gesichter, die ihr entgegensahen, waren ihr fast gänzlich unbekannt. Eigentlich hatte Marje damit gerechnet, mehr Taller aus dem Westviertel hier anzutreffen, doch zu ihrer Enttäuschung war weder Shoan noch Thar anwesend. Sie erkannte Ruan, der auf Sayuris Theke saß, seine zwei ewigen Handlanger standen hinter ihm im Schatten. Sein schmales Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, als sie ins Licht der Kerzen trat.
    »Marje, die junge Blüte des Westviertels«, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen und rutschte von der Theke, um sich elegant vor ihr zu verbeugen und ihr die Hand zu küssen. Auf seinen scharfen Blick hin folgten die breitschultrigen jungen Männer seinem Beispiel.
    Marje verdrehte leicht die Augen. »Komisch, dich hier anzutreffen, Ruan«, sagte sie. »Kommt Miro nicht erst noch in die Nähe des Ostviertels?« Da der Kaiserbruder nicht

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