Sayuri
blitzte ein wacher Verstand auf, dann glitt ihr Blick träumerisch in die Ferne.
Das Mädchen nahm den Kranz wieder in die Hände und drehte ihn gedankenverloren zwischen den Fingern, bevor sie ihn zurück ins Regal legte. Mit einer Geste bot sie Kiyoshi einen Hocker vor der schmalen Theke an, beugte sich zu einer Kiste hinunter, fischte ein Tuch heraus und bedeutete ihm, sich damit abzutrocknen.
Kiyoshi schälte sich aus seinem Umhang und nahm dankbar das Tuch entgegen. Grade, als er seine Haare trocken rubbelte, erschien eine Gestalt im dunklen Durchgang hinter der Theke. Kiyoshi sah in katzengrüne Augen, die sich erst vor Erstaunen weiteten, dann zornig zusammenzogen.
»Du?«, fragte die klare Stimme des Mädchens, die vor Wut bebte.
Kiyoshis blasse Retterin sah von ihm zu dem Mädchen, das offenbar so etwas wie eine Freundin war. Sie hob beruhigend die Hände, aber da war die Grünäugige schon an ihr vorbeigestürmt, um sich auf Kiyoshi zu stürzen.
Obwohl er den Faustschlag hatte kommen sehen, konnte er ihn nicht abwehren und stolperte zurück, als sie ihn knapp unterhalb der Rippen traf. Ihrer zweiten Hand konnte er ausweichen. Ein leuchtender Punkt zischte um seinen Kopf und blitzte immer wieder so grell auf, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Blind versuchte er, die Schläge abzufangen. Einer traf seine fast verheilte Wunde, sodass er vor Schmerzen aufschrie.
Noch ein Schlag und ein weiterer Hieb.
Das Irrlicht summte und glitzerte vor seinen Augen, dass ihm ganz schwindelig wurde.
So gut es ging, versuchte er auszuweichen und bald hatte sie ihn an das andere Ende des Raumes getrieben.
Kiyoshi stand mit dem Rücken zur Wand.
Endlich bekam er eine Hand des Mädchens zu fassen und riss sie zu sich herum. Mit der zweiten Hand suchte er ihren in der Luft fuchtelnden Arm und wollte gerade danach greifen, als sie ihm mit aller Kraft auf den Fuß trat.
»Biest«, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Das blasse Mädchen verfolgte das Geschehen mit großen, ängstlichen Augen, wagte sich aber nicht näher. Das Irrlicht hatte inzwischen von ihm abgelassen und sich zu dem stummen Mädchen gesellt.
Jetzt versuchte das schwarz gelockte Mädchen sich mit aller Macht aus seinem Griff zu winden, ihn zu beißen oder zu treten wie eine wilde Katze.
Den Charakterzug hatte sie ihm ja schon beim ersten Mal demonstriert, schoss es ihm durch den Kopf und er stieß ihr den Ellenbogen an eine empfindliche Stelle am Oberarm. Für einen Augenblick war sie außer Gefecht gesetzt und er nutzte die Gelegenheit, den Unterarm gegen ihren Hals zu drücken.
Mit zornigem Blick starrte sie ihn an, aber diesem Griff konnte sie nicht entkommen und bald würde ihr die Luft knapp werden.
»Genug?«, fragte er und hörte seinen eigenen keuchenden Atem.
Das Mädchen biss die Zähne zusammen. Sie streckte sich, spannte den ganzen Körper an. Irritiert starrte er sie an. Was hatte sie vor? In nächsten Moment schlug etwas Hartes gegen seine Schulter und ließ ihn zurückstolpern. Mit der zweiten Hand hatte sie einen Tonkrug oder etwas Ähnliches aus dem Regal gezogen. Weißer Nebel hüllte ihn ein, als sich der pulvrige Inhalt in der Luft verteilte. Erschrocken wich er zurück.
»Sayuri!«, rief das Mädchen in blanker Wut. »Was hat er hier zu suchen?!«
Beinahe hätte Kiyoshi gelacht. Wie groß war eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass er auf seiner Flucht genau in das Haus stolperte, in dem sie sich gerade aufhielt?
»Mörder«, fauchte sie.
»Vielleicht sollten wir versuchen, die Einrichtung ganz zu lassen?«, erkundigte sich Kiyoshi vorsichtig. Das Mädchen, dessen Name offensichtlich Sayuri war, konnte schließlich nichts für dieses Zusammentreffen.
Stumm stand er da und musterte seine Angreiferin, die ihren finsteren Blick auf ihn geheftet hatte, während sich zwischen ihnen der weiße Staub langsam legte. Tonscherben lagen über den Boden verstreut und einige Götterfiguren und kleine Dosen waren ebenfalls aus dem Regal gefallen.
»Seit wann interessiert es euch, wer bei euren Spielen zu Schaden kommt?«, fragte sie schließlich bedrohlich leise. Ihre Stimme war so kühl, dass sie ihn frösteln ließ.
»Lass mich über …«
Weiter kam er nicht, denn in dem Moment musste er einer scharfen Tonscherbe ausweichen, die sie nach ihm geworfen hatte. Keine Sekunde später hielt sie eine weitere Scherbe in ihrer Hand und holte zum Schlag aus.
Kiyoshi riss instinktiv die Arme hoch, um sein Gesicht zu schützen.
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