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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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gelangen. Er würde sich als Miros Erbe zu erkennen geben und unverzüglich Zugang zum Schrein gewährt bekommen. Auch außerhalb von Lauryns Frühling kam es vor, dass ein Mitglied der Kaiserfamilie zum Schrein kam, um zu beten. Ungewöhnlich war nur, wenn jemand sich alleine auf den Weg machte, aber dafür würde sich eine Erklärung finden.
    »He, Bootsführer – für den Markt ein bisschen spät«, hörte er eine Männerstimme flachsen.
    Das Boot hatte seine Fahrt verlangsamt. Vorsichtig spähte Kiyoshi hinter den Kisten hervor. Vor ihm ragten die spitzen Wachtürme auf, die die Tore flankierten. Rechts und links waren die üblichen Wachposten stationiert, doch als Kiyoshi genauer hinsah, hätte er am liebsten geflucht.
    Anstatt der üblichen vier Stadtwachen wurde das Tor von zehn Männern bewacht! Sie standen in einer Gruppe neben dem linken Wachturm, sichtlich gelangweilt von dem Dienst, den sie seit den frühen Morgenstunden verrichten mussten.
    Kiyoshi überschlug kurz seine Optionen und kam zu dem Schluss, dass es nur diese Chance gab. Am nächsten Tor würde die Situation nicht anders sein – und je näher sie der neuen Stadt kamen, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, auf noch mehr Wachen zu treffen.
    Einfach ans Ufer konnte er jetzt allerdings nicht mehr. Er wartete, bis der Bootsführer den Wegzoll aus seinen Taschen kramte, dann kroch er geduckt hinter den Kisten hervor, schlich in gebückter Haltung an die Reling und ließ sich leise ins Wasser gleiten, während er sich an der Bootswand festhielt.
    »Heda!«
    »Mist«, fluchte Kiyoshi leise, stieß sich hastig ab und begann, mit kraftvollen Zügen den Flussarm zu durchqueren, direkt auf das gegenüberliegende Ufer zu.
    Aus den Augenwinkeln sah er, wie in die Wachen am linken Tor Bewegung kam.
    »Halt, Bursche!«
    Zwei von ihnen schickten sich an, über die Torbrücke zum anderen Ufer zu rennen, die anderen deuteten aufgeregt in seine Richtung. Inständig hoffte er, dass keiner der Männer ihn erkannt hatte.
    »Sofort anhalten!« Wieder ertönte der Ruf.
    Hättet ihr wohl gerne!
    Kiyoshi zog sich an der Kaimauer hoch, rappelte sich auf und sah sich hektisch um. Das erste Tor befand sich in der Nähe des Handwerkerviertels. Gut! Hier waren die Gassen und Straßen schmaler, sodass er sich besser würde verbergen können.
    »Stehen bleiben, habe ich gesagt!«, brüllte es hinter ihm.
    Die Soldaten hatten fast das Ende der Brücke erreicht, die sich in stolzem Bogen über den Fluss zog.
    »Haltet ihn!«
    Kiyoshi rannte los. Den Atem könnt ihr euch sparen, schoss es ihm durch den Kopf. Wer bitte schön sollte ihn denn festhalten? Die Straßen waren wie ausgestorben! Die Menschen, die sich normalerweise in den Gassen drängten, waren plötzlich alle verschwunden.
    Die Erkenntnis traf Kiyoshi wie ein Blitz: Sie halten mich für einen Sechzehnjährigen, der vor der Stadtwache auf der Flucht ist! Und statt mir zu helfen, verbarrikadieren sie sich in ihren Häusern!
    Seine Kehle wurde trocken. Keuchend holte er Luft und versuchte, noch schneller zu laufen. Das nasse Zeug klebte an seinem Körper, das Blut rauschte in seinen Ohren und pulsierte in seinen Adern. Die inzwischen fast verheilte Wunde pochte leise.
    Er brauchte ein Versteck, einen Hinterhof, irgendeinen Unterschlupf, sonst hatte er keine Chance. Aber ausgerechnet hier standen die Häuser so eng aneinandergedrängt, dass nirgends ein schmaler Gang in einen Hinterhof führte.
    Für einen Moment hielt Kiyoshi inne und sah zurück. Er konnte die schweren Schritte der eisenbeschlagenen Schuhe hören, aber die Straße hatte eine Biegung gemacht, hinter der seine Verfolger noch nicht zu sehen waren.
    Ein einziges Zögern noch, dann würden sie ihn fassen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie ihn als den erkannten, der er war. Was würde Miro sagen, wenn sie ihn in den Palast zurückbrachten? Und Rajar?
    Hilflos schaute er sich weiter nach einem Versteck um, als ihn jemand am Arm packte und nach hinten riss. Stolpernd wurde er über eine Türschwelle gezogen und keine Sekunde später schlug die Tür zu und sperrte das helle Licht Tshanils aus.
    Wild um sich tastend, versuchte er sich zu orientieren. Die plötzliche Dunkelheit machte ihn praktisch blind. Eine schlanke Hand legte sich auf seine Schulter und ein Licht entflammte mit einem Zischen.
    Vor ihm in der Dunkelheit erschien ein blasses Gesicht im Schein eines kleinen Windlichtes. Ein schlanker elfenbeinfarbener Finger legte sich

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