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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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hinter der Theke gesessen und Perlen nach ihrer Größe in verschiedene Schalen sortiert. Ihre Hände waren beschäftigt gewesen, aber ihre Gedanken kreisten Stunde um Stunde um Marje und Milan.
    Als das kleine Irrlicht durch eine Ritze im Fensterladen wieder zu ihr in den Laden gekrochen war, war sie aufgesprungen und hatte schnell unter der Theke ein paar Kerzen hervorgezogen und sie entzündet. Dankbar war Shio in das Licht geflogen. Doch sobald er ein wenig Kraft hatte, begann er wie wild durch die Luft zu sirren und zu erzählen, ohne dass Sayuri ihm hätte folgen können. Sie hatte ihn aus der Luft abgefangen und zurück zur Kerze geschoben. Mit Gesten gab sie ihm zu verstehen, dass er langsamer erzählen solle.
    Shio drehte unruhig einige Runden um die Kerze, dann begann er erneut mit seiner Geschichte. Sayuri lehnte sich zurück und lauschte seinen Worten. Nachdem er seine lange nächtliche Suche in allen Einzelheiten geschildert hatte, kam er endlich zum Ende und gab leise zu, dass er von Marje und Milan nichts gesehen hatte.
    Sayuri schloss für einen Moment die Augen. Sie musste irgendetwas tun, um ihren Freunden zu helfen. Wenn sie doch wenigstens wüsste, wo sie waren!
    Müde rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und stand mit einem lautlosen Seufzer auf, um den Laden zu öffnen. Mit dem neuen Tag begann das geschäftige Treiben der Menschen auf der Straße und Sayuri wollte den Anschein der Normalität wahren. Die Fensterläden hielt sie jedoch geschlossen. Wenn in der Straße die Warnrufe erklangen, musste sie schnell alles verriegeln können. Auch bei den Nachbarn waren die meisten Fensterläden nun Tag und Nacht verschlossen.
    Früher hatte ihre Mutter den Laden geführt. Damals waren die Tage immer laut und fröhlich gewesen, ständig waren Kunden gekommen und Freunde, die einfach ein wenig mit ihrer Mutter plaudern wollten. Doch mit dem Tod ihrer Mutter war es still geworden. Anfangs hatte es noch mehr Leute gegeben, die vorbeikamen, um nach ihr zu sehen, ihr Mut zuzusprechen, aber auch das hatte bald ein Ende gefunden.
    Sie war den Menschen unheimlich mit ihrer bleichen Haut und den schneeweißen Haaren. Marje, Thar und Shoan hatten versucht, ihr diese Gedanken auszureden, aber sie wusste, dass sie recht hatte. Sie sah es in den Augen ihrer Kunden. Die Menschen hatten Angst vor ihr und ihrem Wissen über Kräuter, Heiltränke und Gifte. Niemand ahnte, was in ihr vorging, denn mit niemandem konnte sie sich wirklich unterhalten. Ein wenig konnte sie das Verhalten der Menschen nachvollziehen.
    Liebevoll ließ sie den Blick durch den Laden gleiten. Manche Dinge standen hier schon seit Jahren in den Regalen. Ihre Finger strichen über eine Zentaurenfigur, die so groß war wie ihr Unterarm lang. Ihre Mutter hatte sie mit besonderer Hingabe geputzt, weil der Staub auf dem schwarzen Holz sofort ins Auge fiel.
    Es waren kraftraubende Wochen gewesen, als ihre Mutter erkrankt war. Am Anfang hatte es nach einem hartnäckigen Husten ausgesehen. Sie hatte sich alle möglichen Heiltränke gebraut und Salben gemischt, während sie nebenbei den Laden geführt hatte.
    Dann war es schnell gegangen. Innerhalb weniger Stunden hatte sich der Zustand ihrer Mutter rapide verschlimmert, gerade, als Sayuri die Hoffnung hatte, sie sei über das Schlimmste hinweg. Noch in der gleichen Nacht hatte Turu sie zu sich gerufen. Mit ihrem letzten Atemzug war die Seele aus ihrem Körper gewichen und hatte sich von dem Haus, der Stadt, der Welt gelöst, um zu den Göttern zurückzukehren.
    Die folgenden Wochen waren an Sayuri wie in einem Traum vorbeigezogen; sie fühlte sich wie gelähmt und war unfähig, ihrer Arbeit nachzugehen. Hätten Marje und Thar ihr in dieser Zeit nicht geholfen, hätte sie den Laden schließen müssen. Und jetzt war Marje beim Versuch, Milan von einer Dummheit abzuhalten, verschwunden.
    Sayuri wusste nicht, was sie tun sollte. Sie machte sich große Sorgen um ihre Freundin, aber Milan hatte ihr eingeschärft, auf keinen Fall das Haus zu verlassen. Hinter ihren Schläfen hämmerte es. Sie fühlte sich wie gefesselt, war machtlos gegen die Gewalt auf den Straßen.
    Hilflos sah sie zu Shio. In Gedanken fragte sie ihn, was sie machen sollten, aber auch das Irrlicht wusste keinen Rat. Nach der anstrengenden Nacht brauchte es Kraft und ruhte sich in den Kerzen aus.
    Ein Ruf auf der Straße riss sie aus ihren Gedanken. »Sayuri! Marje!« Laute Schritte näherten sich dem Laden.
    Sayuri wandte sich zur Tür und

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