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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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Bei dem Gedanken, dass hinter diesem Tor ihre Zukunft lag, wurde ihr flau.
    Dort draußen gab es nichts außer des blauen Himmels und der Wüste, die in einer eintönigen Ebene bis zum Horizont reichte. Wie verlorene schwarze Punkte lagen auf dieser Ebene die Höfe der Bauern verstreut, umgeben von blassgelben Feldern. Selbst die Weiden, auf denen die Tiere grasten, waren graugelb und erinnerten in keiner Weise an das saftige Grün in Sayuris kleinem Garten. Alles schien nur eine Farbe zu haben, als hätte die Sonne das Land eingefärbt.
    Wenn es vorbei ist, kommen wir zurück, machte sich Marje Mut. Ewig konnte der Kaiser sie nicht suchen lassen. Ewig konnte die Jagd nach den Sechzehnjährigen nicht mehr dauern. Und solange sie nicht das Zeichen der Verbannung trugen, blieb ihnen der Weg in die Stadt offen.
    »Zur Seite«, ertönte eine derbe Männerstimme und eine Gestalt stieß sie und Sayuri grob aus dem Weg. Überrascht drehten die Mädchen sich um, wandten sich dann aber hastig wieder ab. Der Soldat schob sich gerade an einer schimpfenden Bäuerin vorbei und zerrte dabei grob an der Kette, an der er zwei Jugendliche hinter sich herzog, die in ihrer zerrissenen Kleidung hinter ihm herstolperten.
    Marje fing den hilflosen Blick des einen Jungen auf. Er sah noch so jung aus, bestimmt keine sechzehn, aber scheinbar nutzten die Soldaten die Gelegenheit, noch mehr Straßenkinder loszuwerden – so wie Milan es vorausgesagt hatte. Zornig schüttelte sie den Kopf. Sie konnte ihm nicht helfen. Ihre Hand umschloss Sayuris Handgelenk und zog sie fort. Die Soldaten durften auf keinen Fall auf sie beide aufmerksam werden.
    Die Wagenkolonne erschien ihr fast endlos, als sie ihr Tempo wieder dem allgemeinen Trott anpasste, doch irgendwann erreichten sie das Tor. Der Bogen aus sandfarbenem Stein mit den mächtigen Flügeln, die nun aufgeklappt standen, war nur noch ein kurzes Stück entfernt und der Tross wurde immer langsamer, als wieder ein Bauer am Tor mit den Wachen zu diskutieren begann.
    Sayuri blieb wie die anderen stehen, aber Marje wollte an den Grions vorbei ein Stück weiter nach vorne. »Komm mit«, zischte sie leise. Wieder bemerkte sie einige Wachen, die am Rande des Zugs entlangpatrouillierten. Tief zog sie ihre Kapuze in die Stirn und bedeutete Sayuri, auch ihr Gesicht zu verhüllen. Die Umhänge, die sie trugen, waren alt und schäbig. Wenn sie Glück hatten, hielten die Wächter sie für Gehilfen des Bauern, der den Wagen neben ihnen fuhr.
    »Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!«, erklang plötzlich der Ruf eines Soldaten.
    Panisch drehte Marje sich um. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, der Ruf gelte ihnen, dann aber entdeckte sie einen Jungen, der sich rücksichtslos einen Weg am Karren eines Bauern vorbeibahnte und unter dem Leib eines stillstehenden Grions hindurchtauchte. In dem Moment, als er sich die Haare aus den Augen strich, blickte Marje wie erstarrt in ein Paar grüne Augen, die gehetzt nach einem Fluchtweg suchten.
    Wie hypnotisiert starrte sie auf den Jungen, der sie seit Tagen in ihren Träumen verfolgte. In Kiyoshis Augen spiegelten sich zuerst Erleichterung und Freude, dann Sorge und schließlich Panik, als er sich wieder nach den Soldaten umdrehte, die hinter ihm her waren.
    Warum jagen die kaiserlichen Soldaten Miros Erben, schoss es Marje durch den Kopf. Das war absurd! Sie würden ihn wohl kaum für ein Straßenkind halten!
    »Bleib stehen, Kiyoshi!«, schrie jemand. Es war ein dunkelhaariger Junge in der Uniform der Palastwache, er war etwa im gleichen Alter wie der Prinz, soweit sie das auf die Entfernug schätzen konnte.
    Kiyoshi warf noch einen Blick über die Schulter, dann wandte er sich zu Marje und Sayuri um und lief auf sie zu. Die Menschen wichen teilweise zur Seite, halfen ihm, einen Weg zu finden, und schlossen den schmalen Gang hinter ihm wieder, scheinbar ohne ihn bemerkt zu haben.
    Beinahe entlockte es Marje ein Lächeln, als sie beobachtete, wie die Menschen sich den Soldaten in den Weg stellten. Kiyoshi hatte nur noch einen kleinen Vorsprung vor seinen Verfolgern, als er sie erreichte. Keuchend kam er vor ihr zum Stehen. Einen Augenblick lang sahen sie sich nur stumm an, dann griff er nach ihrer Hand. »Sayuri ist in großer Gefahr!«, keuchte er. »Wir müssen raus aus der Stadt!«
    Marje starrte ihn verwirrt an. Zu viele Fragen schossen ihr durch den Kopf, ohne dass sie wusste, welche sie zuerst stellen sollte. Was kümmerte ihn Sayuri? Warum jagten ihn die

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