Sayuri
über dem unscheinbaren Laden im Handwerkerviertel erstreckte. »Eurem Bruder wird es bald besser gehen. In wenigen Wochen wird er sich erholt haben und der Wasserstand in der Stadt wird steigen.«
Miro schluckte schwer. »Wir haben einen hohen Preis bezahlt«, flüsterte er leise.
Die Raubkatze senkte den Blick auf ihre Pfoten. »Der Verlust des Prinzen hat uns alle schwer getroffen«, sagte sie nach einigen Augenblicken der Stille. »Aber jeder Erfolg, jeder Sieg fordert seinen Tribut. Die Stadt wird erblühen und die Menschheit wird Euch feiern, Herr.«
Ein Zug der Trauer lag um den Mund des Mannes, als er sich zu dem Wiljar umwandte. »Was ist ein Sieg wert, wenn er so viel kostet?«, wollte er wissen.
Der Wiljar atmete tief ein und wieder aus und ließ dabei ein kehliges Knurren hören. »Das ist es, was die Menschen so kurzsichtig macht. Eure Gefühle verleiten Euch zu dieser Frage. Lasst Euch Zeit, dann werdet Ihr verstehen, was ich meine. Der Prinz ist gegangen. Aber vorher hat er uns zu derjenigen geführt, die wir gesucht haben. Die Soldaten können heimkehren. Alles wendet sich zum Guten. Der Frieden wird wieder in die Straßen der Stadt einziehen.«
Miro blickte stumm in den Garten.
Der Wiljar hatte recht.
Die Pflanzen hier oben – diese üppige Pracht, wie sie eigentlich nur an einem Ort der Stadt wachsen konnte, war ihnen Beweis genug gewesen. Und ja, ihre Suche war beendet gewesen, das hatten sie in dem Moment gewusst, als sie die Leiter erklommen hatten.
Aber was war mit Kiyoshi? Auch er hatte im Garten verharrt, das wusste Miro von den Soldaten, die dem Jungen auf sein Geheiß hin gefolgt waren.
Was ahnte er tatsächlich? Welche Eingebung hatte ihn in dieses Haus und schließlich aus der Stadt getrieben? Selbst wenn seine Mutter geredet haben sollte, selbst wenn sie trotz der Nacht, die in ihrem Verstand herrschte, einen lichten Moment der Erinnerung gehabt hatte – woher hatte Kiyoshi dann gewusst, wo das Mädchen lebte? Dass es überhaupt lebte?
Miro vergrub seinen Kopf in den Händen. Er hätte es ahnen müssen, dass Aulis auf Dauer ein Risiko war. Aber sie war nun schon so lange in diesem Zustand. Und sie hatte lediglich Kontakt mit Kiyoshi. Miro wusste, dass sein Neffe nichts auf das verrückte Gerede seiner Mutter gab.
Bis heute offenbar.
Miro stöhnte. So viele Entscheidungen zu fällen – so wenig Antworten auf seine Fragen!
Der Wiljar sah zu ihm hinüber. Anmutig ließ er sich am Rande des Gartens ins Gras sinken und legte den schweren Kopf auf die kräftigen Pfoten. Aus gelben Augen beobachtete er, wie eine Blume im heißen Wind den Kopf hängen ließ und ein Blütenblatt nach dem anderen zu Boden fiel. Der Garten begann sichtlich zu verfallen, viel schneller, als man es für möglich gehalten hätte.
»Sie hätte die Stadt vernichten können«, sagte der Wiljar leise und ließ ein tiefes Grollen hören.
Miros Blick schweifte abermals in die Ferne, wo der Himmel auf das Gold des Wüstensandes traf. »Ist es nun vorbei?«
Der Wiljar lachte grollend auf und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht vorbei, solange das Mädchen lebt«, antwortete er knapp.
Er und der Kaiserbruder drehten sich um, als Schritte auf der Leiter laut wurden und gleich darauf ein Junge durch das Loch im Boden des Gartens schaute. »Entschuldigt, Eure Hoheit«, bat er, stieg vollends auf das Dach und verneigte sich tief. »Er ist entkommen.«
Der Mann seufzte schwer. »Der Bote hat uns bereits die Nachricht überbracht. Ich habe nichts anderes von meinem Erben erwartet. Danke, Rajar.«
»Ich bitte Euch inständig, lasst mich nach ihm suchen. Er hat mit seiner Flucht den Kaiser und Euch verraten. Das muss gerächt werden.«
Der Wiljar schnurrte und legte seinen mächtigen Kopf zwischen die Vorderpfoten. »Der Junge spricht die Wahrheit. Aber vorerst müssen wir das Augenmerk auf das Mädchen richten, das sie bei sich hatten.«
»Lasst mich auch nach ihr suchen!« Rajar hob eifrig den Kopf und blickte zum Bruder des Kaisers auf. »Sie ist zwar entkommen, aber sie sind getrennt worden. Es wird ein Leichtes sein, sie in der Wüste aufzuspüren. Sie kennt die Gefahren dort draußen nicht!«
Der Wiljar nickte langsam. Sein gelber Blick glitt von Rajar zu Miro. »Wir dürfen nichts dem Zufall überlassen. Wir müssen Sorge tragen, dass diese Bedrohung für immer gebannt wird.«
Stumm wich Miro den erwartungsvollen Blicken aus. Ein Gefühl der Ohnmacht breitete sich in ihm aus, als ihm klar wurde, dass
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