Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
lässt den Blick über uns schweifen. Mehr als die Hälfte der Arbeitsschichten aus der ganzen Stadt sind inzwischen anwesend, über zweitausend Menschen, die sich Schulter an Schulter auf Ästen und Wegen drängen. Wir atmen wie ein Lebewesen, murmeln wie ein vielköpfiges Tier, verlagern unser kollektives Körpergewicht und starren ihn an.
Der Mann scheint aus sich heraus zu leuchten. Seine Haut schimmert im Schatten, und seine Augen funkeln, als würden sie von fernen Ziellasern gestreift. Er schaut vor und zurück, nimmt uns in sich auf, neigt dann den Kopf, atmet tief durch und spricht dann ein einziges Wort.
»Hoffnung«, sagte Tygre mit einer Stimme, die uns alle durchdringt.
Danach lösen wir uns in zweitausend müde, mürrische Menschen auf, die sich nach Schlaf, Sex, Essen und Erklärungen sehnen. Was auch immer uns zusammengehalten hat, löst sich auf wie Pappe im Regen, und wir träufeln fort von der Majestät seiner Präsenz, wie Katzen, die so tun, als hätten sie niemals einen Hund auf der Straße draußen vor der Katzenklappe gesehen.
Er steht nur da und lächelt, bis fast alle von uns bis auf ein paar Nachzügler gegangen sind. Flankiert von Bashar und Anna Chao blickt der große Mann über die Stadt, als würde sie ihm gehören.
Schließlich spricht er erneut. »Ihr wisst, dass sie zu euch kommen werden.«
»Das wollen sie schon unser ganzes Leben lang«, antwortet Anna ihm. Ihr Tonfall ist gelassen, aber ihre Worte fassen die Geschichte des Protests in einem neuen amerikanischen Jahrhundert zusammen.
Er wirft ihr einen Seitenblick zu, eine seltsam gewöhnliche Bewegung. »Diesmal ist es anders. Keine Institution. Das Kapital.«
»Warum sollte sich das Kapital für uns interessieren?«, fragt Bashar.
»Sei nicht naiv«, fährt Anna ihn an. Offensichtlich erkennt sie bereits die Linien, die von Tygres Worten ausgehen. Staatliche Institutionen unterliegen ihren eigenen Zwängen – Gesetze zum Handlungsspielraum, räumliche Zuständigkeit, zeitliche Einschränkungen der Wahlperioden. Das Kapital kennt keine Grenzen, es ist die Bestie, die im Herzen der Welt »Profit« brüllt.
Bashar ist nicht naiv. Er kennt seine eigene Welt. Sie besteht aus Schießbefehlen, Grenzsteinen und Möglichkeiten, wie sich seine Mitmenschen aufhalten, brechen und töten lassen. Das Kapital ist ein fernes Unheil, das er stets von der falschen Seite eines Dienstabzeichens aus gehasst hat, doch die Finanzwelt war nie ein Geheimnis, das es geschafft hat, sein Interesse zu wecken.
»Und du bist gekommen, um uns zu retten?«, fragt sie. Ihre Stimme klingt ungewöhnlich lieblich, als sie Tygre anspricht.
»Ich bin nicht gekommen, um jemanden zu retten.« Angesichts der künftigen Ereignisse sind seine Worte auf seltsame Weise prophetisch. »Aber man kann sich besser gegen einen Feind wappnen, den man am Tor sieht.«
»Das Kapital schleicht sich nicht im Schutz der Dunkelheit an, um Fallstricke zu zerschneiden«, sagt Bashar.
»Ach, wirklich?« Tygre lässt die Worte in der Luft hängen.
Nach einem langen angespannten Moment gehen sie zu einer der Kantinen. Es ist spät, selbst nach den Maßstäben der vorwiegend nächtlichen Welt von Cascadiopolis. Wie die meisten anderen Dinge auch sind Lebensmittel hier Allgemeingut – sie werden von Gruppen für Gruppen zubereitet und serviert.
In den folgenden Minuten findet ein Test statt, die Art von Test, bei dem Menschen nicht getötet, aber behutsam ausgestoßen werden. Tygre betritt die Küche unter dem Tarnnetz mit den heißen keramischen Kochbottichen und Dampftischen. Dort nimmt er sich ein gutes deutsches Messer und schneidet Farnspitzen klein, die für den Eintopf gedacht sind. Er bewegt sich so ruhig und gelassen, als würde er schon seit Jahren in der Küche arbeiten.
Nur Bashar bemerkt, wie erschreckend schnell und präzise Tygre mit dem Messer umgeht. Anna scheint von seinen sparsamen Bewegungen fasziniert zu sein, von der Anmut, mit der er sich selbst den niedrigsten Tätigkeiten widmet.
Als er nun Gewürze hinzugibt, treten selbst die anderen Köche ein wenig zurück. Ein Flussgeruch steigt bald von den stotternden Töpfen auf, als die Farntriebe aufkochen, zwischen Lachsfilets, Elsterklein und winzigen Zwergkarotten, die planlos auf den Hochwiesen zwischen ihren Cousins, den wilden Möhren, wachsen.
Schließlich blickt sich Tygre um. »Tomaten?«, fragt er hoffnungsvoll.
Nein, es gibt keine Tomaten, aber es gibt Paprika. Jemand holt einen Korb mit
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