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Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Titel: Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Baraldi
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zu müssen. Es ist so bequem, einmal die Woche den verständnisvollen Vater zu geben, der etwas von Jugend und Leidenschaft erzählt und seinen Kindern recht gibt. Ich bin ständig hier, den lieben langen Tag, und immer bin ich diejenige, die Nein sagen muss, wenn es nötig ist …«
    »Schatz, ich will doch Scarlett nicht um jeden Preis recht geben.«
    »Aber das tust du doch gerade.«
    Ich höre sie nicht mehr. Ich klinke mich aus der Realität aus und verliere mich in meinen Gedanken. Gedanken so weich wie Sommerwolken. Wolken wie Schlagsahnetupfer.
    Ob Mikael und der Motorradfahrer ein und dieselbe Person waren? Ich kann mich nicht geirrt haben. Diese Kristallaugen sind unverwechselbar. Aber manchmal spielt einem die Einbildung böse Streiche. Ich gehe in den Garten. Dort setze ich mich auf eine der Schaukeln und sehe verträumt zu dem einsamen Turm, der sich auf dem Hügel vor mir erhebt. Jetzt ist auch schon die Abenddämmerung da und umgibt ihn mit dem Reiz des Geheimnisvollen. Sie hüllt ihn in ihre violett-schwarzen Gewänder und breitet den Silberglanz der Sterne über ihn. Ich möchte ihn gerne einmal besichtigen, ein wenig von seinem verfallenen Zauber in mich aufsaugen. Am liebstem wäre ich dort mit …
    Ich verjage diesen Gedanken sofort, aber das ist nicht einfach. Seit Stunden bemühe ich mich vergebens darum!
    Wieso bin ich Mikael oder Vincent noch nie begegnet, wo sie doch auf dieselbe Schule gehen wie ich? Nach dem Konzert habe ich Genziana danach gefragt, und sie hat gemeint, dass sie immer für sich bleiben. Sie verbringen die Pause im alten Kreuzgang, wo eine Frauenstatue mit einer Taube steht. Ich war noch nie dort, aber jetzt sterbe ich vor Neugier.
    »Wo ist der denn?«, habe ich Genziana gefragt.
    »Östlich von der Haupttreppe, neben der Reihe Zypressen, die früher zu dem kleinen Friedhof der Mönche führte. Ich war nur einmal da, und das auch nur ganz kurz; in dem Teil der Schule bekomme ich eine Gänsehaut. Daran ist auch die Frau mit der Taube schuld. Ihr fehlt ein Arm, und sie sieht so traurig aus.«
    Ich stelle mir Mikael vor, wie er mit melancholischem Gesichtsausdruck zu Füßen dieser Statue sitzt. Unvermittelt verlasse ich die Schaukel, die leise quietschend nachschwingt. Morgen will ich aus den Umzugskartons die Staffelei, die Leinwände und die Pinsel auspacken. Malen ist immer ein Ventil für mich gewesen, um mich abzureagieren. Aber seit wir umgezogen sind, stecke ich wohl in einer schöpferischen Krise.
    »Du sprichst durch die Farben, genau wie dein Großvater. Der hätte dir gefallen, weißt du?«, hat Oma Evelyn eines Tages verträumt und mit Tränen in den Augen zu mir gesagt. Sie muss immer weinen, wenn sie von ihrer großen und einzigen Liebe spricht. Giulio, ein italienischer Maler, ein verkanntes Talent, zu jung gestorben, um eine bleibende Spur in den Kunstgeschichtsbüchern zu hinterlassen. Von ihm habe ich meine Liebe zur Malerei geerbt. An dem Tag hatte ich ihr ein Ölporträt geschenkt, das sie nachdenklich vor einem Fenster zeigt, mit den gleichen großen grauen Augen wie ich und dem Ausdruck von jemandem, der auf der Suche nach etwas ist, aber nicht so genau weiß, was das sein soll.
    Ja, morgen werde ich wieder zu malen beginnen. Ich werde versuchen, den verlassenen Turm und seine gruselig-düstere Atmosphäre einzufangen, um nicht die Gefühle zu vergessen, die heute in mir toben. Ich werde sie für die Ewigkeit festhalten.

16
    M ontage fangen eigentlich immer schon am Sonntagnachmittag an. Deshalb habe ich Sonntage nie gemocht. Die ganze Woche sehne ich mich danach, der lästigen Schule mit ihren Pflichten zu entfliehen und einmal ausschlafen zu können. Aber wenn der Sonntag dann da ist, denke ich bloß: »Morgen ist wieder Montag und dann erwartet mich wieder eine ganze Woche mit Schule!« Auf den Sonntag muss man einfach zu lange warten, und dann ist er zu kurz, als dass man ihn wirklich genießen könnte.
    Ich trage nur Jeans und ein ärmelloses T-Shirt und sauge diese nach Sommer duftende Sonne tief in mich ein. Eine Fata Morgana, denn der Herbst hat schon an die Tür geklopft. Aber dafür sind Fata Morganas ja da, oder nicht? Um sich in der milden Wärme einer Illusion zu sonnen.
    Ich halte einen Pinsel mit frisch gemischter Farbe in der Hand. Vor mir die Leinwand und auf der Leinwand die Skizze eines kleinen Turms inmitten von Hügeln. Ich betrachte die Landschaft, dann wende ich mich wieder der Skizze zu, mit dem Bild vor meinem inneren Auge.

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