Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
mich auf die Stirn. »Ich hab dich lieb, meine Kleine«, flüstert er. Ich würde ihm gern sagen, dass ich gar nicht schlafe. Aber mein Herz tut mir zu weh.
Meine Eltern sind dagegen, dass ich die Nachrichten im Fernsehen sehe, deshalb habe ich mir im Internet Informationen zu Edoardos Tod zusammengesucht. Es heißt, dass man das Motiv noch nicht kennt, aber Tiziano, ein Freund von Papa, der bei der Polizei arbeitet, hat ihm anvertraut, dass es sich um einen gewaltsamen Tod handelt. Er hat von etwas Seltsamem, Unerklärlichem gesprochen, aber dann hat er hastig hinzugefügt, dass er selbst nicht mit dem Fall befasst ist und dass es nur Gerüchte sind. Darüber haben sie gestern Abend geredet. Er ist vorbeigekommen, um sich bei Papa nach meinem Gesundheitszustand zu erkundigen, nachdem er erfahren hatte, was in der Bibliothek passiert ist, einschließlich meines Nervenzusammenbruchs. Auch da saß ich auf der obersten Stufe und habe barfuß und stumm alles angehört.
Als die Türklingel geht, fahre ich unwillkürlich zusammen. Zum Glück ist Papa schon wieder weg, ich höre seine Schritte auf der Treppe. Es ist sieben Uhr, wer kann das um diese Zeit sein?
Ich stütze mich auf meine Ellenbogen und lausche. Ein mehrstimmiges »Guten Morgen«.
»Wir sind in Scarletts Klasse«, sagt eine fröhliche Stimme. »Wir machen uns Sorgen um sie. Wie geht es ihr?«
»Ja, genau, sie lässt sich seit Tagen nicht in der Schule blicken.«
Ich erkenne die Stimmen von Genziana und Caterina, und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Meine Mutter flüstert etwas, sicher erzählt sie ihnen, dass ich nicht aus meinem Zimmer komme, kaum etwas esse und mich niemandem anvertraue. Bestimmt sagt sie auch: »Sie ist genauso stur wie ihr Vater.« Und dann noch leiser: »Denkt euch, außer einem langen Telefongespräch mit ihrer Großmutter wollte sie mit niemandem reden.« Simona wird gern melodramatisch, wenn sie damit die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Und was meinen Vater betrifft, der nutzt das allgemeine Chaos, um unauffällig das Haus zu verlassen.
»Hallo! Ich bin Marco«, mischt sich eine Kinderstimme ins Gespräch. Ich sehe ihn vor mir, wie er in seinem himmelblauen Schlafanzug auf der Treppe steht, mit verschlafenen Augen und abstehenden Haaren, als wäre ihm ein Böller direkt auf dem Kopf explodiert. Er muss die unbekannten Stimmen gehört haben, und neugierig wie er ist, war er daraufhin schlagartig wach.
Jetzt wird eifrig diskutiert, aber so leise, dass ich nichts verstehe. Dann höre ich den Kleinen sagen: »Ich bringe euch zu ihr.« Oh nein! Sie kommen die Treppe herauf, und bei Genziana wird es nicht reichen, dass ich mich schlafend stelle, die werde ich garantiert so schnell nicht los. Aber ich versuche es trotzdem, ich ziehe mir die Decke bis über die Ohren und kneife die Augen zusammen.
»Hallo, Scarlett! Du brauchst gar nicht so zu tun, als würdest du noch schlafen, ich weiß, dass du bei dem ganzen Durcheinander aufgewacht sein musst!« Genziana wirft sich auf das Bett.
»Darf ich?«, fragt Caterina schüchtern.
Und der kleine Marco lacht sich ins Fäustchen. Das wird er mir büßen.
»Hallo«, sage ich mit absichtlich verschlafener Stimme und tauche unter der Decke auf. »Was macht ihr denn hier?«
Cat setzt sich auf die Bettkante, während Genziana sich buchstäblich auf mich gelegt hat. »Du solltest dich jetzt anziehen und zum Frühstück herunterkommen, wenn du uns nicht auf dem Gewissen haben willst. Weißt du eigentlich, um welche Uhrzeit wir aufgestanden sind, um so früh hier zu sein? Ich war noch so verschlafen, dass ich erst jetzt gemerkt habe, dass ich zwei unterschiedliche Strümpfe angezogen habe …«
»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Wie geht es dir?«
Genziana lässt mir keine Zeit für eine Antwort. »Das ist wirklich eine schlimme Sache, es tut mir wirklich leid um deinen Freund. Aber jetzt müssen wir etwas Wichtiges mit dir bereden.«
»Genau, wir müssen uns bei dir entschuldigen.« Wenn sie aufgeregt ist, stellt Caterina ihren Sätzen immer ein »Genau« voraus.
»Vor allem ich. Manchmal bin ich einfach viel zu impulsiv. Ich hoffe, du verzeihst mir, Scarlett. Umberto hat uns erklärt, warum du dich mit ihm verabredet hattest. Er hat uns erzählt, dass du ihn gebeten hast, Cat Nachhilfe in Mathe zu geben und … Ich bin mir wie die letzte Idiotin vorgekommen, weil ich schlecht von dir gedacht habe.«
»Das macht nichts.« Nach dem, was mit Edoardo passiert ist, komme ich
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