Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Edoardo.«
»Keine Sorge, Scarlett. Es wird alles gut. Ich lasse dich nicht allein. Ich bin an deiner Seite. Auch wenn du mich nicht sehen kannst.«
Eine seltsame Wärme erfüllt mich. Ich habe keine Angst, jetzt ist ja Mikael bei mir.
»Lass mich nicht allein«, flüstere ich.
»Hier, nimm. Du musst dich jetzt ausruhen.« Ich spüre, wie die Sternenkugel in meine Hand gleitet, und es breitet sich eine wohltuende Ruhe in mir aus.
Unvermittelt schrecke ich hoch. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Um mich herum ist es dunkel.
Mein Herz schlägt laut wie ein Presslufthammer.
Ich sehe auf den Wecker. Die Zeiger stehen auf halb vier. Wie lange habe ich geschlafen?
Ganz allmählich wird mein Atem regelmäßiger. Ich bin sehr durstig. Ich knipse meine Mondlampe an und bleibe einen Moment lang reglos sitzen.
Ich habe geträumt. Mikael …
Ich konnte ihn nicht sehen, aber seine Stimme hören. Er hat mich durch die Dunkelheit geleitet und mir Geborgenheit gegeben, und dann … Meine Augen wandern zu meiner geballten Faust. Ich öffne die Hand und finde darin die Sternenkugel von Oma Evelyn. Also war es doch kein Traum!
Ich springe auf, und wie ein kleines Mädchen sehe ich unter dem Bett nach. Wie dumm von mir! Dachte ich wirklich, ich würde Mikael darunter finden?
Und doch bin ich mir sicher, dass mein Glücksbringer zusammen mit Edoardos Geschenk in meiner Hosentasche war. Ich laufe zum Stuhl und taste mit der Hand hinten in meine Jeans. Da ist seine rosa Fliege. Rosa. Die Farbe der Freundschaft. Ich umklammere sie mit meinen Fingern und führe sie an mein Herz.
Ein stechender Schmerz. Ich kann nicht glauben, das Edoardo wirklich tot sein soll. Und … Irgendetwas war merkwürdig an seiner Hand. Ich kann mich nicht genau daran erinnern, aber allein bei dem Gedanken daran packt mich das Grauen.
Mit meinen Schätzen in der Hand kehre ich zum Bett zurück.
Gestern Nachmittag war ich so durcheinander, ich werde wohl vergessen haben, dass ich die Sternenkugel aus der Tasche genommen habe. Das ist die einzig mögliche Erklärung. Und doch war der Traum so real …
Ich versuche, Mikaels weiche warme Stimme wiederzufinden. »Bist du wirklich an meiner Seite?«, frage ich, ohne eine Antwort abzuwarten. Dann laufe ich auf Zehenspitzen zur Treppe und gehe in die Küche. Ich brauche unbedingt ein Glas Wasser.
Schweigen. Das ganze Haus schläft.
Ich fühle mich so einsam und verlassen. Sogar der Schlaf lässt mich im Stich, der einzige Trost, der mir noch bleibt.
38
S eit zwei Tagen kommt sie nicht aus ihrem Zimmer. Sie isst kaum etwas, sagt kein Wort, und ihre Augen sind immer ganz verquollen. So kann das nicht weitergehen!«
»Schatz, Scarlett hat ein traumatisches Erlebnis gehabt und braucht Zeit, um sich davon zu erholen.«
»Das weiß ich doch. Aber sie muss sich einen Ruck geben. Ich habe keine Ahnung, was ich noch mit ihr machen soll. Geh du zu ihr und rede mit ihr: Vielleicht entschließt sie sich ja bei dir, den Mund aufzumachen, und vertraut sich dir an. Das würde ihr guttun. Außerdem gefällt es mir nicht, dass sie diese Pillen zum Schlafen nimmt.« Die Stimme meiner Mutter hallt durchs Haus. Papa hingegen redet leise, und wenn ich nicht auf der obersten Stufe im Flur hocken würde, könnte ich ihn nicht verstehen. Barfuß wie ich bin, gibt mir der kalte Boden das Gefühl, am Leben zu sein. Und genau das brauche ich jetzt.
» Pillen kann man das wohl kaum nennen. Das ist nur Baldrian … ein Naturprodukt, das mir der Arzt empfohlen hat.«
»Ich habe dich nur gebeten, kurz mit deiner Tochter zu reden. Das ist bestimmt nicht zu viel verlangt.«
»Ich habe eine Sitzung, und sie schläft noch. Es ist noch nicht einmal sieben Uhr …«
»Was ist wichtiger, die Sitzung oder das Wohl deiner Tochter?«
»Okay. Ich schaue nach, ob sie wach ist, aber versuch du bitte, dich zu beruhigen. Sie braucht nur ein wenig Zeit.«
Papas Schritte. Auf Zehenspitzen laufe ich in mein Zimmer und schlüpfe hastig unter die Bettdecke. Ich mache die Augen zu und gebe vor zu schlafen.
Er öffnet die Tür einen Spalt und bleibt eine Zeitlang reglos so stehen. Ich spüre seine Augen auf mir. Er überlegt, was er tun soll, dann kommt er auf Zehenspitzen näher und streicht mir über die Haare. Ich habe ein so dringendes Bedürfnis nach etwas Zärtlichkeit, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Deshalb drehe ich mich um und ziehe mir die Decke bis über die Ohren.
Papa beugt sich über mich und küsst
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