Scarpetta Factor
falschen Leuten eingelassen.« Das war keine Frage.
»Ich habe den Eindruck, dass Sie gut im Bilde sind. Finde die richtigen Schwachpunkte. Dann kann man auch einen Gegner ausschalten, der doppelt so groß ist wie man selbst.«
»Schwachpunkte. Also im Plural. Mehr als einer«, stellte Benton fest.
»Wir ermitteln gegen diese Personen, ohne sicher zu sein, wer sie sind. Aber bald haben wir sie. Und deshalb sind Sie hier«, erwiderte sie.
»Sie sind nicht verschwunden.«
Lanier setzte sich wieder in Bewegung.
»Ich konnte sie nicht alle beseitigen«, sprach Benton weiter. »Inzwischen hatten sie viele Jahre Zeit, Ärger zu machen und Pläne zu schmieden.«
»Wie Terroristen«, antwortete sie.
»Es sind Terroristen, nur von einer anderen Sorte.«
»Ich habe das Dossier darüber gelesen, was Sie in Louisiana geschafft haben. Beeindruckend. Willkommen zu Hause. Ich hätte nicht in Ihrer Haut stecken wollen. Oder in der von Scarpetta. Warner Agee lag nicht ganz falsch – Sie schwebten in allergrößter Gefahr. Allerdings hat er sich von unlauteren Motiven leiten lassen. Er wollte Sie loswerden, und das war schlimmer, als wenn er Sie umgebracht hätte.« Sie klang, als redete sie über etwas Unangenehmes wie Hirnhautentzündung oder Vogelgrippe. »Der Rest war unsere Schuld, obwohl ich in dieser Zeit noch nicht dabei war. Damals war ich noch eine aufstrebende Staatsanwältin in New Orleans. Ein Jahr später habe ich beim FBI angeheuert und meinen Magister in forensischer Psychologie gemacht, weil ich mich für Verhaltensanalyse interessiert habe. Inzwischen bin ich die NCAV-Koordinatorin für die Außenstelle in New Orleans. Ich kann nicht abstreiten, dass die Vorfälle dort und auch Sie meine Entscheidung beeinflusst haben.«
»Dann waren wir gleichzeitig dort. Und sie auch. Ist Sam Lanier, der Leichenbeschauer von East Baton Rouge, ein Verwandter von Ihnen?«, erkundigte sich Benton.
»Mein Onkel. Vermutlich könnte man sagen, dass es in der Familie liegt, sich mit den dunkleren Seiten des Lebens zu beschäftigen. Ich weiß, was damals dort passiert ist, und habe mein Büro in der Außenstelle in New Orleans. Seit ein paar Wochen bin ich nun hier und könnte mich an New York gewöhnen, wenn man nur leichter einen Parkplatz fände. Man hätte Sie nie aus dem FBI drängen dürfen, Benton. Damals war ich anderer Ansicht.«
»Damals?«
»Warner Agees Beweggründe waren offensichtlich. Sein Gutachten über Sie im Auftrag der Abteilung verdeckter Personenschutz. Das Hotelzimmer in Waltham, Massachusetts, wo er Sie im Sommer 2003 als nicht mehr dienstfähig eingestuft hat. Er empfahl, Sie im Innendienst oder als Ausbilder einzusetzen. Ich bin darüber informiert. Wieder war es die richtige Entscheidung aus den falschen Gründen. Er hatte ein Recht auf seine Meinung, und möglicherweise war es auch das Beste so. Was hätten Sie wohl getan, wenn Sie dabei geblieben wären?« Sie sah ihn an und blieb an der nächsten geschlossenen Tür stehen.
Benton antwortete nicht. Nachdem sie einen Code eingetippt hatte, betraten sie die Kriminalabteilung, ein Labyrinth aus Schreibtischen mit Trennwänden dazwischen, allesamt blau.
»Dennoch hat das FBI durch Ihren Abschied einen großen Verlust erlitten«, fuhr sie fort. »Ich schlage vor, wir holen uns einen Kaffee im Pausenraum, wenn man ihn denn so bezeichnen will.« Sie steuerte auf einen kleinen Raum zu, der mit einer Kaffeemaschine, einem Kühlschrank, einem Tisch und vier Stühlen ausgestattet war. »Ich werde mir den Spruch sparen, dass alles im Leben auf einen zurückfällt. Agee, meine ich«, fügte sie hinzu und schenkte zwei Tassen Kaffee ein. »Er hat Ihre Karriere abgewürgt oder es zumindest versucht, und nun hat er das Gleiche mit seiner eigenen gemacht.«
»Sein selbstzerstörerisches Verhalten fing schon viel früher an.«
»Ja, richtig.«
»Da gibt es noch einen, der in Texas aus dem Todestrakt geflohen ist«, fuhr Benton fort. »Ich habe nicht alle erwischt. Ihn konnte ich nicht beseitigen, weil er spurlos verschwunden war. Lebt er noch?«
»Was möchten Sie in Ihren Kaffee?« Sie öffnete einen Tupperware-Behälter mit Kaffeeweißer und reinigte am Spülbecken einen Löffel.
»Ich habe nicht alle erwischt. Ich konnte ihn nicht beseitigen«, wiederholte Benton.
»Wenn wir die Typen je alle kriegen würden, wäre ich arbeitslos«, entgegnete Lanier.
Die Abteilung Schusswaffen und Kampfmittelbeseitigung des NYPD in Rodman’s Neck war von einem
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