Scarpetta Factor
roten Deckel. Nachdem sie das Stahlrohr wieder in die Waagerechte gebracht und die Schrauben festgezogen hatte, holte sie eine Laser-Zielvorrichtung aus dem Koffer, die sich wie ein Seitenschloss auf den Lauf schieben ließ. Lobo stellte seinen Laptop auf einen Sandsack. Auf dem Bildschirm war die Röntgenaufnahme von Scarpettas Paket zu sehen. Droiden würde die Abbildung dazu benutzen, ein Zielgitter zu erstellen, um mit Hilfe der Laser-Zielvorrichtung und der Wasserkanone die Energiequelle – also die Knopfbatterien – auszuschalten.
»Könnten Sie mir das Zündsystem geben?«, bat sie Lobo.
Er öffnete das tragbare Magazin, eine olivgrüne Stahlkiste, und holte eine Spule heraus. Darauf war etwas gewickelt, das wie ein leuchtend gelber, plastikummantelter dicker Draht aussah, eine Sprengschnur von geringer Stärke, die sich ohne feuerabweisende Kleidung oder Schutzanzug gefahrlos handhaben ließ. Das Innere des Schlauchs war mit dem Sprengstoff HMX ausgekleidet, gerade genug, um die nötigen Schockwellen auf den Schlagbolzen im Seitenschloss zu übertragen. Dieser wiederum würde die Patrone auslösen, nur dass diese nicht mit Schießpulver gefüllt, sondern leer war und keine Projektile enthielt. Stattdessen schoss das Rohr etwa fünfzehn Milliliter Wasser mit einer Geschwindigkeit von etwa zweihundertsechzig Metern pro Sekunde ab, was genügte, um ein ordentliches Loch in Scarpettas FedEx-Paket zu schlagen und die Energiequelle zu zerstören.
Droiden wickelte einige Meter Schlauch ab und befestigte ein Ende am Seitenschloss, das andere am Auslöser, der an eine kleine grüne Fernbedienung mit zwei Knöpfen, einer schwarz, der andere rot, erinnerte. Dann öffnete sie zwei der Ausrüstungskoffer und entnahm ihnen die grüne Jacke, die Hose und den Helm des Schutzanzugs.
»Wenn die Herren mich jetzt entschuldigen würden«, sagte sie. »Ich muss mich umziehen.«
18
Warner Agees Laptop, ein mehrere Jahre alter Dell, war an einen kleinen Drucker angeschlossen. Beide Geräte waren mit an der Wand befindlichen Steckdosen verbunden. Wegen der kreuz und quer verlaufenden Kabel und der überall herumliegenden Ausdrucke musste man aufpassen, dass man nicht stolperte oder auf ein Blatt Papier trat.
Scarpetta hatte den Verdacht, dass Agee in dem offenbar von Carley angemieteten Hotelzimmer pausenlos gearbeitet hatte. Offenbar war er beschäftigt gewesen, bevor er Hörgeräte und Brille abgenommen, die Karte mit dem Magnetstreifen auf den Frisiertisch gelegt hatte und über die Treppe verschwunden war. Wahrscheinlich hatte er ein Taxi genommen und sich schließlich in den Tod gestürzt. Sie fragte sich, was er in seinen letzten Lebensminuten wohl hatte hören können. Gewiss nicht die Rettungsmannschaft mit ihren Seilen, Geschirren und anderen Ausrüstungsgegenständen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, um ihn von der Brücke zu holen. Bestimmt auch nicht den Verkehr auf der Brücke. Nein, nicht einmal den Wind. Er hatte den Ton abgeschaltet und das Bild verschwimmen lassen, um sich den endgültigen Sprung ins Nichts zu erleichtern. Sein Plan war nicht nur gewesen, sein Leben zu beenden. Aus irgendeinem Grund hatte er beschlossen, keine andere Alternative in Erwägung zu ziehen.
»Fangen wir mit den letzten Anrufen an«, schlug Lucy vor und beugte sich über Agees Telefon. Sie hatte es in eine Ladestation gelegt, die sie in einer Steckdose neben dem Bett entdeckt hatte. »Anscheinend hat er nicht viel telefoniert. Ein paar Anrufe gestern Vormittag und dann nichts mehr bis sechs Minuten nach acht am Abend. Danach noch ein Anruf, etwa zweieinhalb Stunden später, also um zwanzig vor elf. Ich beginne mit dem um sechs nach acht, starte eine Suchanfrage und schaue, was dabei herauskommt.« Sie tippte etwas in ihr MacBook.
»Ich habe das Passwort meines BlackBerry deaktiviert.« Scarpetta wusste nicht, warum sie es ausgerechnet in diesem Moment aussprach. Sie hatte zwar daran gedacht, doch es hatte ihr nicht auf der Zunge gelegen. Nun war die Tatsache auf dem Tisch und lag vor ihnen wie eine überreife, vom Baum gefallene Frucht. »Ich glaube nicht, dass sich Warner Agee mein BlackBerry angesehen hat. Oder Carley, falls sie nicht auf die Fotos vom Fundort gestoßen ist. Soweit ich feststellen kann, sind die Anrufe, Nachrichten und E-Mails, die eingegangen sind, seit ich es zuletzt benutzt habe, nicht geöffnet worden.«
»Ich weiß«, erwiderte Lucy.
»Was soll das heißen?«
»Mein Gott. Die Nummer, von der
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