Scarpetta Factor
mir vom Real Time Crime Center die Daten sämtlicher Hausbewohner geben lassen.«
»Graham Tourette hat eigens betont, er und sein Lebensgefährte seien letzte Nacht im Theater gewesen. Jemand habe ihnen Karten für Wicked geschenkt«, fügte Bonnell hinzu. »Also möchte ich Dr. Wesley jetzt fragen ...«
»Unwahrscheinlich«, erwiderte Benton. »Dieses Verbrechen wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von einem schwulen Mann begangen.«
»Ich habe in ihrer Wohnung keine Fäustlinge entdeckt«, stellte Marino fest. »Am Fundort waren auch keine. Außerdem trägt sie auf keiner der Standaufnahmen schwarze Handschuhe oder hat eine schwarze Tasche bei sich.«
»Meiner Ansicht nach stecken sexuelle Motive hinter diesem Mord«, sprach Benton weiter, als wäre Marino nicht vorhanden.
»Hat die Autopsie Hinweise auf einen sexuellen Übergriff ergeben?«, erkundigte sich Berger.
»Sie hat Verletzungen an den Genitalien«, erwiderte Scarpetta. »Blutergüsse, Rötungen, Zeichen dafür, dass jemand brutal in sie eingedrungen ist.«
»Sperma?«
»Ich konnte keines feststellen. Warten wir ab, was das Labor sagt.«
»Meiner Ansicht nach will Doc Scarpetta darauf hinaus, dass der Fundort und vielleicht sogar das Verbrechen selbst inszeniert sind«, merkte Marino an. »Und in diesem Fall käme doch auch ein Schwuler als Täter in Frage, oder, Benton?«
»Von meinem Wissensstand ausgehend, Jaime«, antwortete Benton Berger, nicht etwa Marino, »dient eine Inszenierung dem Zweck, die wahre Natur und das Motiv eines Verbrechens, den Tatzeitpunkt und eine mögliche Verbindung zwischen Opfer und Täter zu verschleiern. In diesem Fall geht es eher um Vermeidung. Der Mörder befürchtet, erwischt zu werden. Außerdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir es mit sexuellen Hintergründen zu tun haben.«
»Klingt, als wäre der Täter kein Fremder«, meinte Marino. Benton ignorierte den Einwand.
»Wenn der Zeuge die Wahrheit sagt, teile ich diese Auffassung«, wandte sich Bonnell an Marino und berührte ihn wieder. »Ich persönlich glaube nicht, dass es ihr Freund oder jemand war, dem sie vor der letzten Nacht schon einmal begegnet ist.«
»Wir müssen Tourette zur Vernehmung einbestellen. Und den Hausmeister auch«, verkündete Berger. »Ich will mit beiden reden, insbesondere mit Joe Barstow, dem Hausmeister.«
»Was ist denn so interessant an Joe Barstow?«, erkundigte sich Benton in leicht gereiztem Ton.
Vielleicht hatten Benton und Scarpetta ja eine Ehekrise. Marino hatte keine Ahnung, was sich bei ihnen tat, weil er sie seit Wochen nicht gesehen hatte. Doch er hatte es allmählich satt, möglichst nett zu Benton zu sein und sich für seine Bemühungen eine Abfuhr nach der anderen zu holen.
»Mir liegen dieselben Informationen vom Real Time Crime Center vor wie Marino. Hast du dir Barstows berufliche Laufbahn angeschaut?«, fragte Berger Marino. »Er war bei einigen Kurierdiensten und als Taxifahrer beschäftigt und hatte sonst noch jede Menge anderer Jobs. Barkeeper, Kellner. Bis 2007 war er bei einem Taxiunternehmen angestellt. Offenbar ist er ständig auf Achse, denn nebenbei studiert er auch noch mit Unterbrechungen seit drei Jahren am Manhattan Community College. Wenigstens steht das hier.«
Bonnell hatte sich aufgerichtet, einen Notizblock aufgeschlagen und stand nun neben Marino.
»Er strebt einen Abschluss in Videokunst und -technologie an«, sagte sie. »Außerdem spielt er Bass, war früher in einer Band und würde gern Rockkonzerte organisieren. Er hofft immer noch auf den großen Durchbruch in der Musikbranche.«
Während sie ihre Aufzeichnungen vorlas, streifte ihr Oberschenkel Marino.
»Seit einiger Zeit arbeitet er als Teilzeitkraft in einer digitalen Produktionsfirma«, fuhr sie fort. »Als Mädchen für alles. Hauptsächlich sitzt er am Empfang oder erledigt Botengänge. Er selbst bezeichnet sich als Produktionsassistent, ich würde es eher Hiwi nennen. Er ist achtundzwanzig Jahre alt. Ich habe eine Viertelstunde mit ihm gesprochen. Er meinte, er kenne Toni nur, weil sie im Haus wohne. Er sei – ich zitiere – nie mit ihr ausgegangen, obwohl er sich überlegt habe, sie einmal einzuladen.«
»Haben Sie ihn gefragt, ob er je eine private Beziehung mit ihr gehabt beziehungsweise mit dem Gedanken gespielt habe, oder hat er das unaufgefordert ausgesagt?«, erkundigte sich Berger.
»Unaufgefordert. Er hat auch beteuert, er habe sie seit einigen Tagen nicht gesehen. Die ganze letzte Nacht
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