Scarpetta Factor
ergab einfach keinen Sinn.
»Gut. Wir haben noch eine Menge zu besprechen«, ergriff Berger das Wort. »Immer eins nach dem anderen. Wir wollen uns zuerst mit den Videoaufnahmen beschäftigen. Gehen wir einmal davon aus, dass die Frau im grünen Mantel wirklich Toni Darien ist und sie ihrer Mutter letzte Nacht eine SMS geschickt hat.«
Berger war sicher, dass Scarpetta sich irrte. Auch wenn es seiner bisherigen Erfahrung widersprach, hatte Marino ähnliche Zweifel. Er überlegte, ob der Ruhm Scarpetta womöglich zu Kopf gestiegen war. Vielleicht war sie wirklich überzeugt, auf alles eine Antwort zu wissen und unfehlbar zu sein. Wie lautete der Slogan noch einmal, mit dem CNN ihre Sendungen bewarb? Der Scarpetta-Faktor . Verdammt!, sagte sich Marino. Er hatte schon öfter erlebt, dass Menschen die Medienberichte über sich für bare Münze nahmen, anfingen, schlampig zu arbeiten, Mist bauten und sich blamierten.
»Die Frage ist«, fuhr Berger fort, »wo Toni war, nachdem sie das Haus verlassen hatte.«
»Nicht an ihrem Arbeitsplatz«, erwiderte Marino, während er versuchte, sich zu erinnern, ob Scarpetta jemals ein Schnitzer unterlaufen war, der einen Gutachter um Kopf und Kragen bringen und den Ausgang eines Prozesses gefährden konnte.
Ihm fiel kein einziges Beispiel ein. Allerdings war sie nicht immer ein Fernsehstar gewesen.
»Fangen wir mit ihrem Arbeitsplatz, dem High Roller Lanes, an.« Bergers Stimme hallte kräftig aus der Freisprechanlage. »Marino, was habt ihr, du und Detective Bonnell, herausgefunden?«
Marino war enttäuscht, als Bonnell zur anderen Seite des Schreibtisches ging, und vollführte Trinkbewegungen, um sie zu bitten, ihm eine Cola light zu bringen. Doch bei ihrem Anblick änderten sich seine Gefühle. Er stellte fest, dass ihre Wangen sich gerötet hatten und ihre Augen funkelten. Sie strotzte förmlich vor Tatendrang. Außerdem spürte er noch ihre Berührung an seinem Arm, ihren kräftigen, kurvenreichen Körper und ihr Gewicht, obwohl sie sich gar nicht mehr in seiner Nähe aufhielt. Er malte sich aus, wie sie wohl aussah und sich anfühlte, und all seine Sinne waren so wach und angespannt wie schon lange nicht mehr. Ganz sicher hatte sie ihn absichtlich gestreift.
»Zuerst möchte ich das Lokal beschreiben, da es sich nicht um eine gewöhnliche Bowlingbahn handelt«, begann er.
»Es ähnelt eher einem Casino in Las Vegas«, ergänzte Bonnell, öffnete eine Papiertüte und holte zwei Dosen Cola light heraus. Als sie Marino eine davon reichte, trafen sich kurz ihre Blicke.
»Richtig«, stimmte Marino zu und öffnete die Dose. Cola spritzte heraus und auf seinen Schreibtisch. Nachdem er die Pfütze mit einigen Blättern Papier aufgesaugt hatte, wischte er sich die Hände an der Hose ab. »Eindeutig ein Laden für Leute mit Geld. Neonbeleuchtung, Filmleinwände, Ledersofas und ein schick eingerichteter Sitzbereich mit einem großen verspiegelten Tresen. Etwa zwanzig Bahnen und Billardtische. Außerdem gelten dort strenge Kleidungsvorschriften. Kein Zutritt für Leute, die nicht richtig angezogen sind.«
Er war im letzten Juni mit Georgia Bacardi zur Feier ihres sechsmonatigen Jubiläums im High Roller Lanes gewesen. Dass sie ihr einjähriges begehen würden, war inzwischen höchst unwahrscheinlich. Bei ihrem letzten Treffen am ersten Wochenende dieses Monats hatte sie keine Lust auf Sex gehabt und ihm auf etwa zehn verschiedene Weisen zu verstehen gegeben, dass er es vergessen könne. Sie fühle sich nicht wohl, sie sei müde, ihre Stelle bei der Polizei von Baltimore sei genauso wichtig wie seine, sie habe Hitzewellen, und außerdem habe er Umgang mit zu vielen Frauen, was sie allmählich leid sei. Berger, Scarpetta, ja, sogar Lucy. Bacardi selbst eingeschlossen, spielten vier Frauen eine Rolle in Marinos Leben, und Sex hatte er zuletzt am 7. November gehabt. Also vor sechs gottverdammten Wochen.
»Es ist ein sehr hübsches Lokal, und das Gleiche gilt für die Frauen, die einen bedienen, während man Bowling spielt«, fuhr er fort. »Viele wollen ins Showgeschäft oder Model werden. Hochkarätige Kundschaft. Überall hängen Fotos von Promis, sogar auf dem Klo. Zumindest in der Herrentoilette. Haben Sie auf dem Damenklo auch welche gesehen?«, wandte er sich an Bonnell.
Achselzuckend zog sie die Jacke aus, nur für den Fall, dass er sich gefragt haben könnte, was sich darunter befand. Er schaute nicht nur hin. Er starrte sie an.
»Auf dem Männerklo ist eines von Hap
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