Scatterheart
bekam er einen hochroten Ausschlag auf der Brust, der sich rasch ausbreitete. Die anderen Gefangenen hielten möglichst großen Abstand zu ihm und pressten sich Stofffetzen vor Mund und Nase. Offensichtlichhatten alle Angst davor, sich anzustecken. Dann kam ein Arzt und flößte ihm gewaltsam eine glibberige, silberne Flüssigkeit ein, aber sein Zustand wurde nicht besser. Am fünften Tag war er tot.
Scatterheart und der weiße Bär reisten viele Tage und Nächte, bis sie schließlich zu einem Schloss kamen, das hoch oben auf einem weißen Berg lag. In Scatterhearts Zimmer stand ein Bett, das war weiß wie Schnee und hatte seidene Kissen mit goldenen Fransen daran. Der Bär sagte zu dem Mädchen, es dürfe in Schloss und Garten überall hingehen. Nur an einen Ort dürfe es nicht. Im Garten befand sich eine große weiße Mauer ganz aus Eis, in deren Mitte eine kleine Tür eingelassen war. Diese Tür dürfe das Mädchen niemals öffnen.
Hannah blieb zwölf Tage lang in der Zelle. Und jeden Tag, wenn der Wärter kam und den Eimer mit den Brotresten auf den Boden knallte, flehte Hannah ihn an, mit einem Verantwortlichen sprechen zu dürfen. Doch der Wärter beachtete sie nicht. Bis er am sechsten Tag die Leiche des Mannes entdeckte. Er schreckte zurück, wühlte in seinen Taschen und zog ein Tuch hervor, das er sich gegen Mund und Nase presste.Dann brüllte er einen Befehl, worauf zwei stämmige Männer erschienen. Sie betraten die Zelle und stießen einige der schlafenden Gefangenen mit den Füßen zur Seite.
»Eine Nummer gefällig, Mister?«, neckten einige der Frauen sie.
»Ich wette, Ihr versteht Euch auf Matratzentänze, Sir.«
»Komm, Süßer, was kosten deine Eier?«
Die Männer störten sich nicht daran. Sie bückten sich und hoben den toten Mann auf. Sein Kopf rollte zur Seite und aus seinem Mundwinkel triefte ein Speichelfaden. Dann fiel sein Kopf nach hinten und seine Augen waren starr auf Hannah gerichtet. Sie stieß einen spitzen Schrei aus.
Während die beiden Männer den Toten hochstemmten, kletterte Hannah über die schlafenden Leiber zur Zellentür.
»Bitte«, flehte sie den Wärter an, »ich gehöre nicht hierhin.«
Ihr war schwindelig vor Hunger, Angst und Erschöpfung. Sie berührte den Wärter am Arm.
»Ich heiße Hannah Cheshire«, fuhr sie fort, fast versagte ihr die Stimme. »Ich bin die Tochter eines Edelmanns. Ich bin eine Standesperson. Ich gehöre nicht hierhin. Es ist alles nur ein Missverständnis.«
Hannah saß im Salon und arbeitete lustlos an ihrer Stickerei, da klopfte es dreimal an der Haustür. Ihr Vater war wieder da! Sie rannte in die Diele und riss die Haustür auf. Doch es war nicht ihr Vater. Thomas tauchte aus dem trüben Nebel auf, seine Schultern zum Schutz gegen die Kälte hochgezogen.
Er nahm seinen Hut ab. Dann wurde er rot und sah zur Seite, denn Hannah hatte immer noch ihr Nachthemd an. Sie hüllte sich schnell in das Schultertuch.
Thomas trug den roten Rock und die Messingknöpfe der Marineinfanteristen.
Die Uniform veränderte ihn. Er sah jünger und gleichzeitig erwachsener aus. Ein Teil von ihr wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen und hätte ihm alles erzählt, was geschehen war, aber etwas hielt sie zurück. Das letzte Mal war er so … unverschämt gewesen. So unangemessen. Ihr Vater hätte sein Verhalten als
vulgär
bezeichnet. Thomas Behr war nicht wie ihresgleichen. Er war kein Herr von Stand und würde es niemals sein.
»Was wollen Sie?«, fragte sie kühl.
»Ich möchte wissen, ob du über mein Angebot nachgedacht hast.«
Hannah seufzte. »Guten Tag,
MrBehr
.«
Sie griff an die Türklinke, doch er streckte rasch seinen Arm nach ihr aus.
»Hannah«, sagte er, »bitte. Auf deinen Vater ist ein Kopfgeld ausgesetzt. Sobald er wiederkommt, wird er gehängt.«
Der Nebel waberte um sie herum. Sie zitterte vor Kälte. »Bitte, hör zu«, flehte Thomas sie an. »Ich habe nicht viel Zeit. Ich habe eine neue Arbeit als Offizier im New South Wales Corps. Übermorgen fahren wir los. Ich habe mit dem befehlshabenden Offizier gesprochen. Er hat mir erlaubt dich mitzunehmen, aber nur, wenn wir verheiratet sind.«
»Sie bilden sich doch nicht ernsthaft ein, dass ich dies in Erwägung ziehe«, stieß Hannah zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wenn ich heirate, dann einen Herrn von Stand. Mein Gemahl würde nicht einmal im Traum daran denken, mir etwas so Unschickliches vorzuschlagen. Auf einem
Boot
zu einem Gefängnis auf der anderen Seite
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