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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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der Welt!«
    »Es ist kein Boot, sondern ein Schiff«, erwiderte Thomas Behr lächelnd und Hannah lächelte unwillkürlich zurück.
    »Komm, Hannah«, sagte er, »das wird ein richtiges Abenteuer. Wie bei Robinson Crusoe!«
    Seine Augen leuchteten. Hannah stellte sich vor, mit ihm auf einem Schiff zu sein. Der Wind würde durch seine Haare wehen und seine grauen Augen würden funkeln wie der Ozean. Einen Moment lang glaubte sie ihm. Es wäre wirklich ein Abenteuer. Doch dann erinnerte sie sich wieder, wer sie war.
    »Robinson Crusoe lebte achtundzwanzig Jahre lang als Schiffbrüchiger und hatte es mit Wilden, Sträflingen und Meuterern zu tun. Das ist kaum die passende Gesellschaft für eine junge Lady von Stand.«
    »Passende Gesellschaft – wen kümmert das schon?«, sagte Thomas. »Denk doch an das Abenteuer! Standesgemäß – wen interessiert das denn?«
    »Mich«, entgegnete Hannah, »mich kümmert das.«
    »Dann bleibst du also lieber hier und heiratest den alten Harris.«
    Hannah dachte an Mr Harris mit seinen Schweißflecken unter den Armen und seinen dicken, feuchten Lippen. Und sie dachte an sein großes Haus in Grosvenor Square und an seinen Vierspänner.
    »Ja«, sagte sie.
    Thomas trat einen Schritt zurück. Auf seinem Gesicht zeichneten sich Verwirrung und Verletztheit ab.
    »Wirklich?«, fragte er und seine Stimme war plötzlich ganz ruhig.
    Hannah hatte das Gefühl, als würde etwas in ihr erlöschen wie eine Kerze, deren Flamme erstickt wurde.
    »Wirklich«, antwortete sie ausdruckslos.
    »Hannah«, sagte Thomas, »er wird dich aber nicht mehr wollen.«
    Einen Augenblick lang sagte keiner von beiden ein Wort. Hannah brachte es fast nicht fertig, ihn anzuschauen. Ihr war, als sehe er ihr mitten ins Herz hinein. Der Ausdruck auf seinem Gesicht machte ihr Angst. Er war wie eine offene Wunde. Schmerz und Wut und vieles andere, was Hannah nicht verstand, mischten sich darin. Sie wollte die Hand ausstrecken, seine rosigen Wangen berührenund seine strubbeligen strohblonden Haare zwischen ihren Fingern spüren.
    »Ich möchte dir helfen«, sagte Thomas.
    In strudelnden Schlieren lichtete sich der Nebel. »Ich möchte Ihre Hilfe nicht, Thomas.« Sie schloss die Tür.

    »Cheshire?« Der Wärter sah sie an. »Etwa die Tochter von Arthur Cheshire?«
    Hannah weinte vor Erleichterung.
    Endlich wusste jemand, wer sie war. Er konnte das Missverständnis schnell aufklären und sie käme endlich hier heraus.
Aber wohin?
, fragte eine nagende Stimme in ihrem Inneren. Sie beachtete sie nicht und fasste den Wärter am Ärmel.
    »Ja«, sagte sie, »ich bin die Tochter von Arthur Cheshire.« Der Wärter schüttelte ihre Hand ab. »Dann gehörst du hierher, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Kriminalität ist nämlich erblich. Und dein Vater ist wahrhaftig ein Krimineller.«
    Hannah schloss die Augen. Sogar der Gefängniswärter hielt ihren Vater für einen Verbrecher. Es stimmte also. Die beiden Männer schoben sich mit dem Leichnam an ihr vorbei und der Wärter warf die Tür hinter ihnen zu. »Cheshire?«, sagte Long Meg hinter ihr.
    Hannah drehte sich um.
    Long Meg sah sie eigenartig an. Beinahe respektvoll. Hannah schniefte und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
    »Mein Vater ist ein Gentleman«, stieß sie mit bebender Stimme hervor. »Er ist ein guter Mann.« Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie das wirklich glaubte.
    »Na ja«, sagte Long Meg, »ich weiß zwar nicht, ob er ein guter
Mann
ist, aber er ist mit Sicherheit ein guter …«, sie unterbrach sich und schaute in Hannahs tränenverschmiertes Gesicht, »Zocker.«
    Hannah richtete sich auf. »Sie kennen meinen Vater doch gar nicht.«
    »Süße, deinen Papi kennt in London jedes Mädchen«, kicherte Meg, »standesgemäß oder nicht.«

    »Arthur Cheshire – der ist in London bekannt wie ein bunter Hund.«
    Hannah erstarrte. Sie lag noch im Bett. Unten im Haus waren Leute. Aus der Diele tönten fremde Stimmen zu ihr herauf. Satzfetzen drangen an ihr Ohr.
    »… ihn fasst, wird er die Welt von oben ansehen können.«
    »… seine Henkersmahlzeit …«
    »… erst rot, dann tot …«
    Hannah konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie hörte, wie die Leute von einem Zimmer ins andere gingenund die Dielen unter ihren Füßen knarrten. Sie wunderte sich, dass sie vergessen hatte die Haustür abzuschließen. Dann fiel ihr ein, dass sie gar nicht wusste, wo der Schlüssel war.
    Erst als sie Schritte auf der Treppe hörte, schaute sie sich nach einem

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