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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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entziffern. »Ich habe schon seit einer Ewigkeit kein Buch mehr gelesen«, seufzte sie.
    James fasste sie sanft an der Schulter und drückte sie auf den Stuhl.
    »Das ist kein Roman. Das ist das Diensthandbuch für Offiziere. Nichts für die Augen einer jungen Frau.«
    Hannah nickte. Auch ihr Vater mochte es nicht, wenn sie Bücher las. Sie schaute sich weiter um. Oberhalb des Bettes befand sich ein kleines rundes Fenster, das von einem roten Vorhang eingerahmt war.
    »Es ist bestimmt schwer, ohne Diener auszukommen«, sagte sie.
    »Allerdings«, erwiderte James lächelnd. »Anziehen, essen, daran denken, die Hemden bügeln zu lassen – das alles ist schwieriger. Kein Diener, der meine Besucher einlässt. Keine Magd, die das Bett überzieht. Ich kann es kaum erwarten, bis ich endlich wieder in London bin.«
    Eine unbehagliche Pause trat ein. Hannah wurde sich bewusst, dass sie allein mit einem Mann war. Dazu in seinem Schlafzimmer. Sie war noch nie mit einem Mann allein gewesen, außer natürlich mit Thomas Behr. Aber das zählte nicht. Hannah schluckte nervös. James sah sie an. Sie verschränkte die Hände im Schoß.
    »Was meinten Sie eigentlich mit ›Leute wie sie‹?«, fragte sie plötzlich.
    James blickte sie verständnislos an.
    »Als sie über Long Meg gesprochen haben, sagten Sie ›Leute wie sie‹.«
    James zuckte die Achseln.
    »Sie sind Tiere. Verbrecher. Für ein paar Münzen tun sie alles. Sie haben nur ihre eigenen Interessen im Auge. Leute wie sie würden ihr eigenes Kind für eine Flasche Gin verkaufen.«
    Hannah wurde es mit einem Mal ganz kalt. »Denken Sie das etwa auch von mir? Denken Sie, ich würde meine Familie für eine Flasche Gin verkaufen? Bin ich auch ein Tier?«
    James erwiderte ein wenig gereizt: »Aber Sie doch nicht. Sie sind nicht wie die anderen und das wissen Sie genau.« Er nahm ihre Hand und lächelte. Seine Hände waren glatt und stark. »Sie sind wunderschön, Sie sind eine perfekte Dame und Sie sind aus gutem Hause. Sie sind die Tochter eines Gentlemans. Sie sind nicht wie die anderen.«
    Hannah schwieg lange. Sie dachte daran, was Meg über James’ Vater gesagt hatte. Dass sein Reichtum aus dem Verkauf von Knöpfen stammte.
    »Hannah«, sagte James leise, »verzeihen Sie, wenn ich Sie gekränkt habe. Sie wissen, dass Sie nicht wie die anderen sind.«
    Hannah nickte langsam. »Ich weiß. Das alles …«, sie schaute sich in der Kajüte um, »das alles ist nur … vorübergehend.«
    James hielt immer noch ihre Hand. Hannah spürte, wie schwielig und rau sie gegen seine war. Seine Fingernägel waren gleichmäßig geschwungene Halbmonde. Ihre waren braun und rissig.
    »Hannah?« James blickte sie eindringlich an.
    Sie stand auf und ließ seine Hand los. »Verzeihen Sie. Es ist spät. Ich sollte jetzt gehen.«
    Megs Bett war immer noch leer. Molly sah schweigend zu, wie Hannah unter ihre Decke schlüpfte. Hannah machte die Augen zu, war aber zu unruhig, um einzuschlafen. Sie hörte schlurfende Schritte und machte die Augen wieder auf. Am Fußende ihrer Koje stand Tabby, ihre schwarzen Äuglein glänzten.
    »Kein Gefängnis ist schön und keine Braut hässlich und jede Gans hat ihren Martinstag«, sagte sie.

Scatterheart bedankte sich nicht bei der Glasfrau. Sie nahm die Silbereichel und wanderte weiter, bis sie wieder an einen Felsen kam. Dort, auf einem Fleckchen Gras, saß ein Kind, das war ganz aus Wachs. Es warf eine goldene Eichel in die Luft und fing sie wieder auf. Scatterheart fragte es, ob es wisse, wie sie zu ihres Vaters Haus komme.
    Hannah wachte von einem Stöhnen auf. Zuerst dachte sie, es sei Long Meg, von ihrer Verbannung im Takelwerk endlich befreit. Aber Megs Bett war leer.
    Hannah setzte sich auf und sah sich suchend um. Es war ein leises, eintöniges Stöhnen. Ihr Blick blieb an Sally hängen, der bleichen Schwangeren aus Newgate. Sie war die ganze Zeit über seekrank gewesen und hütete seit der Abfahrt das Bett. Ihr Bauch war mittlerweile zum Platzen dick und sie stöhnte und wimmerte. Eine wässrige Flüssigkeit sickerte in ihre Matratze.
    »Was ist mit ihr los?«, fragte Hannah.
    Cathy drehte sich zu ihr um und zeigte auf ihren Bauch.
    »Es ist so weit.«
    »Sie kriegt ihr Kind? Jetzt?«
    Cathy nickte. Hannah kletterte aus ihrer Koje.
    »Ich hole Dr. Ullathorne«, sagte sie.
    Eine Frau zischte: »Untersteh dich, das ist Frauensache. Lass sie einfach in Ruhe.«
    Sally schrie vor Schmerzen. Hannah presste die Lippen zusammen und stieg zum Oberdeck

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