Schach mit einem Vampir
aufgesägt und danach entfernt. Dann hatte er dem geöffneten Schädel das Gehirn entnommen. Auch dieses wurde genau in Augenschein genommen, fotografiert und gewogen. Dr. Goldstein atmete tief durch. Hier war er mit seiner Arbeit fertig. Den Rest der Untersuchungen konnte er an den entnommenen Proben im Labor durchführen. Der Sektionsgehilfe, ein Asiat, kümmerte sich gerade um die Organe, die auf einem weiteren Edelstahltisch nebeneinander aufgereiht waren. Leber, Lungenflügel, Nieren sowie die Milz. Auch den Magen hatte man dem Toten entfernt. Nur das Gehirn, eine graue geriffelte Masse, lag noch auf einer Waage. Doch schon jetzt konnte der Rechtsmediziner eindeutige Angaben zu seiner Untersuchung machen. Der Mann auf dem Tisch war bis zu seinem plötzlichen Ableben in einer guten körperlichen Verfassung gewesen. Alle Organe sahen, bis auf die Stellen, wo sie mit dem Feuer in Berührung gekommen waren, gesund und normal groß aus. Bis auf das Gehirn. Goldstein rekonstruierte den Tod des Börsenhändlers. Jemand hatte Meyers mit einem harten Gegenstand auf den Kopf geschlagen. Das zeigten eine Fraktur auf dem Stirnbein und eine Schwellung des darunter liegenden Großhirnbereichs. Dann musste der Täter den bewusstlosen Mann auf den Rücken gelegt haben. Denn nur so konnte er ihm ohne größere Probleme das Brustbein brechen und den Brustkorb öffnen. Mit einem scharfen Gegenstand, vermutlich einem Messer, durchtrennte er die Aorta und entfernte das Herz aus dem Körper.
Zuvor jedoch pumpte er Meyers gesamtes Blut ab. Wie dies jedoch bewerkstelligt worden war, konnte Goldstein noch immer nicht herausfinden. Er hatte intensiv nach Hinweisen danach gesucht. Er sah die Schlagadern auf Einstiche nach, begutachtete akribisch die Aorta des Herzens. Doch an der verbrannten Leiche war nicht mehr viel zu erkennen. Selbst wenn es kleine Wunden gegeben haben sollte, waren diese durch das Feuer unkenntlich gemacht worden. Mit diesem großen Problem hatten auch schon die anderen Rechtsmediziner bei den Opfern vor Meyers zu kämpfen. Sie waren allesamt daran gescheitert und fanden auch keine Lösung für die Art des rätselhaften Blutabzapfens. Doktor Goldstein rekonstruierte den Verlauf des Verbrechens weiter. Nachdem das Herz entfernt worden war, steckte der Täter dem Toten eine Schachfigur in den Mund, füllte eine brennbare Substanz in den geöffneten Torso und übergoss Kopf und Hals des Toten. Nur das Herz blieb in einigem Abstand zur Leiche liegen. Das Feuer wurde entzündet … Allem Anschein nach war der Tote auf dem Sektionstisch ein Opfer des sogenannten Schachspielers geworden. Das Muster des Täters beim jetzigen Fall stimmte mit den älteren Gewaltverbrechen und der grausamen Vorgehensweise des Serienkillers überein. Goldstein zog sich die Gummihandschuhe aus und warf sie in einen Mülleimer. Dann folgte der Mundschutz. Sofort intensivierte sich der Geruch nach Formalin und Fäkalien in den Nasenflügel des Mediziners. Doch an diese allgegenwärtigen Gerüche hatte er sich in all den Jahren, in denen er hier am Institut tätig war, gewöhnt. Er wusch sich gründlich seine Hände. Seinem Gehilfen gab er zu verstehen, dass sich dieser nun um den Rest der Arbeit, das Aufräumen und die Verstauung des Leichnams sowie der Organe in einer der vielen Kühlkammern, kümmern sollte. Denn Goldstein war hundemüde. Er war gar nicht erst vom Tatort nach Hause gefahren, sondern hatte sich sogleich in die Arbeit im Institut gestürzt. Und das nicht, weil ihn das FBI um schnelle Ergebnisse gebeten hatte. Er handelte aus persönlichem Interesse. Vielleicht auch aus beruflichem Ehrgeiz. Er wollte helfen, den Täterzu überführen. Denn der tote Mister Meyers war nicht das erste Opfer des sogenannten Schachspielers . Dr. Goldstein hatte sich schon vor einiger Zeit über die zurückliegenden Fälle des Serienkillers bei seinen Kollegen erkundigt, die die Opfer des Serienmörders obduziert hatten. Er ließ sich von ihnen die Untersuchungsergebnisse der Todesfälle aus dem Zeitraum der letzten zehn Jahre zuschicken. Und diese kamen immer zu ein und demselben Ergebnis: Es handelte sich bei den Verbrechen um denselben Täter. Seine Vorgehensweise war typisch und verlief nach einem bestimmten Muster. Es gab keine Abweichungen, die auf einen Nachahmungstäter hätten schließen lassen. Und es gab noch eine Merkwürdigkeit, ein weiteres Markenzeichen des Schachspielers neben den gefundenen Schachfiguren, die dem erfahrenen
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