Schach mit einem Vampir
Rechtsmediziner keine Ruhe mehr ließ. Das verschwundene Blut! Wofür brauchte oder verwendete der Täter es? Goldstein wollte derjenige Mediziner sein, der dieses Mysterium aufklären wollte. Doch ebenso wie seine Kollegen an den anderen gerichtsmedizinischen Instituten des Landes zuvor war er in diesem Punkt bislang völlig ratlos. Und es fand sich auch kein Hinweis an den Leichen selbst, wie der Mörder ihnen das Blut entnommen haben könnte. Es war zum Verzweifeln. Doch eines war sicher. Hätte man Meyers das Herz herausgeschnitten, ohne ihm vorher das Blut zu entfernen, so hätte man trotz des Feuers noch erhebliche Spuren im Körper und im Raum rund um den Leichnam finden müssen. Auch war das Herz selbst fast vollkommen blutleer. Dieser mysteriöse Punkt ließ Goldstein keine Ruhe. Er würde sich darüber bei Gelegenheit mit einem bekannten Wissenschaftler, Professor Dr. Frank Ashwill, unterhalten. Vielleicht wusste der erfahrene Gelehrte einen Rat und fand eine logische Erklärung für das Vorgehen des Täters. Die Thanatologie an Meyers Leichnam ließ aber an den Untersuchungsergebnissen in einem Punkt keinen Zweifel aufkommen: Man hatte es bei dem Killer mit einem kaltblütigen, präzise arbeitenden Psychopathen zu tun. Was ging im Gehirn eines solchen Menschen vor sich? Dr. Goldstein ließ noch einmal seinen Blick durchden Obduktionssaal schweifen. Die hellen Fliesen an den Wänden und am Boden reflektierten das kalte Kunstlicht der Deckenlampen. Hinter dem Tisch mit Meyers Leiche und demjenigen mit seinen Innereien stand ein weiterer. Auch auf ihm lag ein zugedeckter Toter und wartete auf die Leichenschau. Nur die Füße ragten unter einem weißen Tuch hervor. An einem Zeh hing ein Stück Karton. Auf ihm hatte ein Mitarbeiter die Daten des Toten notiert. Goldstein war froh, dass dieser Leichnam von einem seiner Kollegen untersucht wurde. So konnte er sich voll und ganz auf das Opfer des Schachspielers konzentrieren. Der Sektionsgehilfe bemerkte Goldsteins umherschweifenden Blick und fragte ihn deshalb, ob er noch etwas für ihn tun könnte. Doch Dr. Goldstein verneinte, schüttelte gedankenverloren den Kopf und verließ den gekachelten Raum durch eine zweiflügelige Edelstahltür. Nachdem er sich in einem Umkleideraum seine Zivilkleidung angezogen hatte, begab er sich in sein Büro, um den Schreibkram zu dem Fall zu erledigen und einen Laborauftrag für die entnommenen Proben zu schreiben. Man würde die üblichen Untersuchungen daran durchführen lassen. Das ging von der Bestimmung des Blutalkoholspiegels bis zur Analyse des Mageninhalts.
Blutalkoholspiegel! , ging es Goldstein sarkastisch durch den Kopf. Ich hoffe, das Labor kann solch eine Analyse aus dem winzigen Tropfen, den ich ihnen zuschicke, überhaupt durchführen. Goldstein nahm sich vor, nach Hause zu fahren, wenn er endlich den Schreibkram hinter sich gebracht hatte. Dort würde er ordentlich frühstücken und sich danach für ein paar Stunden aufs Ohr legen. Er blickte auf seine vergoldete Armbanduhr. Acht Uhr und zwanzig Minuten.
„Verdammt!“, fluchte er leise. „Ich komme hier nicht vor neun heraus!“ Das Büro war klein, mit dunklen Möbeln eingerichtet. Es war unter anderem mit einem Regal mit Fachliteratur und einem Karteikartenschrank aus Metall recht spärlich eingerichtet. An den hellen Wänden hingen anatomische Abbildungen, ein Kalender sowie die gerahmte Graduierungsurkunde des Doktors. Daneben hingeneinige Zertifikate der verschiedensten Fortbildungen. Auf einem schmalen Regal hatte er Bilder seiner Frau, seiner Kinder und einiger Verwandten aufgereiht. Durch ein kleines Fenster fiel Tageslicht in den Raum hinein. Goldstein zündete sich eine Zigarette an und sog genüsslich den Rauch in seine Lungen. Auf einem Beistelltisch standen eine Kaffeemaschine sowie eine große Tasse. Die Maschine kam nur äußerst selten zu einer Ruhepause. Goldstein schenkte sich eine Tasse ein und setzte sich hinter seinen aufgeräumten Schreibtisch. Während er seinen Computer hochfuhr, nippte er an dem heißen Kaffee, der schon seit einigen Stunden auf einen Verkoster gewartet hatte und deshalb bitter und stark schmeckte. Mit einigen Klicks öffnete der Mediziner ein Textverarbeitungsprogramm und begann, seinen Bericht zu tippen. Doch das klingelnde Telefon unterbrach seine Tätigkeit. Mit einigem Widerwillen nahm er den Anruf entgegen und drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher aus. Er ahnte schon vor der Annahme des Gesprächs, dass
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