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Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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ihre Triebkräfte, aber …« Sie zuckte mit den Schultern. »Wir stehen ihnen gelassener gegenüber. Wie auch Sie das schließlich tun werden.«
    Rom, dachte Parsons, ist auch nicht an einem Tage untergegangen.
    »Was ist mit meiner Gesellschaft?« fragte er.
    »Es kommt darauf an, was Sie als die authentischen Werte Ihrer Gesellschaft identifizieren. Manche existieren natürlich immer noch und werden immer existieren. Die Vorherrschaft der weißen Nationen – Rußland, Europa und der nordamerikanischen Demokratien – hielt nach Ihrer Zeit noch etwa ein Jahrhundert an, dann traten Asien und Afrika als die vorherrschenden Gebiete in Erscheinung, die sogenannten ›farbigen Rassen‹ haben ihr rechtmäßiges Erbe angetreten.«
    Helmar warf ein: »In den Kriegen des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts haben sich alle Rassen miteinander vermischt, verstehen Sie. Deshalb war es von diesem Zeitpunkt an bedeutungslos, von ›Weißen‹ oder ›Farbigen‹ zu sprechen.«
    »Ich verstehe«, sagte Parsons. »Aber das Aufkommen dieses Seelenquaders und der Stämme …«
    »Das«, sagte Loris, »war natürlich nicht mit der Vermischung der verschiedenen Rassen verbunden. Die Einteilung in Stämme ist rein künstlicher Natur, wie Sie vermutlich schon gefolgert haben. Sie entstammt einer Neuerung des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts, einem großen, weltweiten Wettbewerb, etwa in der Art der Olympischen Spiele – wobei sich die Sieger jedoch für Jobs in überstaatlichen Institutionen qualifizierten. In dieser Zeit gab es noch einzelne Nationen, und die Teilnehmer kamen anfangs als Repräsentanten ihrer Völker.«
    »Die kommunistischen Jugendfestspiele«, sagte Helmar, »waren eine der historischen Quellen dieser Sitte. Und natürlich die mittelalterlichen Turniere.«
    Loris sagte: »Aber der hauptsächliche Ursprung des Seelenquaders und der geplanten Manipulation von Zygoten liegt in keiner Ihnen bewußten Quelle.« Sie blickte Parsons aus schmalen Augen heraus an und sagte: »Sie müssen wissen, daß den Farbigen der Welt jahrhundertelang eingeredet wurde, sie seien minderwertig, sie könnten ihr Schicksal nicht in die eigenen Hände nehmen. In uns allen gibt es das bleibende Gefühl, beweisen zu müssen, daß wir besser sind, daß wir in der Lage sind, eine Gesellschaft und eine Bevölkerung zu schaffen, die weit fortschrittlicher ist als alles, was in der Vergangenheit existiert hat.«
    Helmar sagte: »Wir haben uns durchgesetzt, doch wir haben eine verkalkte Gesellschaft ins Leben gerufen, die ihre Zeit damit verbringt, über den Tod zu meditieren; sie hat keine Pläne, keine Perspektiven, kein Verlangen nach Wachstum. Unser nörgelndes Minderwertigkeitsgefühl hat uns verraten, hat uns unsere Energien damit verschwenden lassen, unseren Stolz wiederzuerlangen, zu beweisen, daß unsere alten Feinde im Unrecht sind. Wie in der ägyptischen Gesellschaft sind Tod und Leben so eng miteinander verflochten, daß die Welt ein Friedhof geworden ist und die Menschen zu nichts weiter als Aufsehern degradiert wurden, die zwischen den Knochen der Toten leben. In ihren Vorstellungen sehen sie sich selbst buchstäblich als die Vor-Toten. Deshalb ist ihr großes Erbe verschwendet worden. Stellen Sie sich vor, was sie – wir – hätten werden können.« Er brach ab, sein Gesicht war eine Studie widerstreitender Gefühlsregungen.
    Eine Zeitlang sprach keiner von ihnen. Dann sagte Parsons, begierig darauf, das Thema zu wechseln: »Und wie sieht Ihr medizinisches Problem aus?« Er wollte es jetzt so schnell wie möglich wissen, wollte herausfinden, was es war.
    »Drehen Sie Ihren Sessel um«, sagte Loris. Sie und Helmar drehten sich um, bis sie die andere Wand des Raumes sehen konnten. Parsons folgte ihrem Beispiel.
    Rasch atmend, die Lippen halb geöffnet, die Fäuste an ihren Seiten geballt, starrte Loris auf die Wand.
    »Passen Sie auf«, sagte sie. Und sie drückte eine Taste.
    Die Wand verblaßte. Sie flackerte und war verschwunden. Parsons stellte fest, daß er in einen anderen Raum schaute. Kommt mir bekannt vor, dachte er. Ein Ort, an dem er gewesen war. Es war – der Quell!
    Nicht ganz. Hier war alles winzig. Dieser Raum war eine Replik dessen, was er am Quell gesehen hatte. Die gleichen Ausstattungs-Anordnungen, Stromkabel, Lastenaufzüge. Und am hinteren Ende die glänzende, leere Oberfläche eines Quaders – eines verkleinerten Quaders, der etwa drei Meter hoch und einen Meter tief war.
    »Was ist darin?« fragte Parsons.
    Loris

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