Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
seinen gesamten Körper vibrierten. »Nixina – die Mutter der beiden. Die Mutter von Corith und Jepthe. Sie ist die Urmutter .«
    »Corith und Jepthe sind Bruder und Schwester?« fragte Parsons.
    Helmar nickte. »Ja. Wir alle sind miteinander verwandt.«
    Seine Gedanken kreisten wild durcheinander. Inzucht. Aber weshalb? Und in dieser Gesellschaft – warum?
    Wie konnte es in einer Welt, in der das Rassenerbgut in einen gemeinsamen Topf geworfen wurde, Inzucht geben? Wie war diese großartige Familie, diese echte Familie, aufrechterhalten worden? Drei Generationen. Die Großmutter, die Mutter und der Vater. Jetzt die Kinder.
    Helmar hatte gesagt: Sie war die erste. Dieses winzige, eingeschrumpelte Wesen war die erste – Was?
    Jetzt trat die gebrechliche Gestalt vor, die Augen unter einem getrübten Film verloren, und Parsons sah, daß sie ihn direkt anschaute. Die eingeschrumpften Lippen zitterten, und dann sagte sie mit einer für ihn kaum hörbaren Stimme: »Sehe ich da drüben eine weiße Person?« Schritt für Schritt, als würde sie von einem unfühlbaren Wind allmählich voran getrieben, kam sie auf ihn zu. Helmar eilte sofort an ihre Seite und war ihr behilflich.
    Die alte Frau hielt Parsons eine Hand hin und sagte: »Willkommen.« Er merkte, wie er die Hand ergriff: sie fühlte sich trocken und kalt und rauh an. »Sie sind der – wie heißt das Wort?« Für einen Augenblick schwand die Wachsamkeit aus ihren Augen. Und dann kehrte sie wieder zurück. »Der Arzt, der versucht hat, meinen Sohn ins Leben zurückzubringen.« Die alte Frau hielt inne, während ihr Atem unregelmäßig ging. »Danke für Ihre Bemühungen«, endete sie mit heiserem Flüstern.
    Parsons wußte anfangs nicht, was er sagen sollte. Dann murmelte er: »Es tut mir leid, daß es mir nicht gelungen ist.«
    »Vielleicht …« – ihre Stimme versiegte, war wie das Heben und Senken eines fernen Meeres – »… beim nächstenmal.« Sie lächelte verzerrt. Und dann konzentrierte sie ihren Verstand wie zuvor, und die Aufgewecktheit kehrte zurück. »Ist es nicht Ironie, daß ausgerechnet ein Weißer damit zu tun hat – oder haben sie Ihnen nicht gesagt, was wir planen?«
    Im ganzen Raum war es still geworden. Alle Augen richteten sich auf Parsons und die uralte kleine Frau. Niemand sprach; niemand wagte zu stören. Auch Parsons spürte etwas von ihrer Ehrfurcht in sich.
    »Nein, niemand hat es mir gesagt«, antwortete er.
    »Sie sollten es wissen«, sagte Nixina. »Es ist nicht gerecht, wenn Sie es nicht wissen. Ich werde es Ihnen sagen. Mein Sohn Corith ist für die Idee verantwortlich. Das geschah vor vielen Jahren, als er ein junger Mann war wie Sie. Er war wirklich hochbegabt. Und so ehrgeizig. Er wollte alles richtigstellen, die Schrecklichen Fünfhundert Jahre ungeschehen machen …«
    Parsons erkannte diesen Begriff. Die Periode der weißen Vorherrschaft. Er ertappte sich dabei, wie er nickte.
    »Sie haben die Porträts gesehen?« hauchte die alte Frau und blickte an Parsons vorbei. »Wie sie dort im Alkoven hängen … die großen Männer in ihren Halskrausen. Die ehrwürdigen Entdecker.« Sie gluckste, ein trockenes Kichern, wie Blätter, die im Wind wehten. Vertrocknete, abgefallene Blätter bei Einbruch der Nacht. »Corith wollte zurückgehen. Und die Regierung wollte zurückgehen, aber sie merkte nicht, daß sie wußte, wie.«
    Noch immer sprach niemand. Niemand versuchte, sie zu unterbrechen. Es war unmöglich; sie konnten sich nicht erdreisten.
    Nixina sagte: »Also reiste mein Sohn in die Vergangenheit. Zum ersten Neuengland. Nicht das berühmte, sondern das andere. Das wirklich erste. In Kalifornien. Niemand erinnert sich daran … Aber Corith hat alle Aufzeichnungen, hat die alten Bücher gelesen.« Wieder kicherte sie. »Dort wollte er den Anfang machen, in Nova Albion. Aber er ist nicht sehr weit gekommen.« Die getrübten Augen flammten auf. Wie Loris, dachte Parsons. Für einen Augenblick sah er das Erbe, die Ähnlichkeit. Er bückte sich und lauschte dem trockenen Flüstern, als es jetzt fortfuhr, nur halb an ihn gerichtet, mehr eine Art Erinnern als eine Mitteilung. »Am 17. Juni«, sagte sie. »1597. Er segelte in einen Hafen, denn sein Schiff mußte überholt werden. Er beanspruchte das Land für die Königin. Wie gut wir das alles wissen.« Sie drehte sich zu Helmar um.
    »Ja«, pflichtete Helmar ruhig bei.
    »Wenig mehr als einen Monat hielt er sich dort auf«, sagte die alte Frau. »Sie haben ihr Schiff auf Kiel

Weitere Kostenlose Bücher