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Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Möglichkeit, die Vergangenheit zu ändern, ist begrenzt. Es ist sehr schwer.« Sie seufzte. »Meinen Sie, wir hätten es nicht versucht?« Ihre Stimme hob sich. »Meinen Sie, wir wären nicht immer wieder zurückgegangen, hätten nicht immer wieder versucht, es anders ausgehen zu lassen? Aber trotzdem ist es nie anders ausgegangen.«
    »Die Vergangenheit ist nicht veränderbar?« fragte er.
    »Wir verstehen es nicht ganz. Manche Dinge können verändert werden. Aber dies hier nicht. Nicht jene Sache, die wirklich etwas bedeutet! Es gibt eine Art zentrale Kraft, die uns ausweicht. Eine Macht, die am Wirken ist …«
    »Sie lieben ihn wirklich«, sagte er, von ihren Gefühlen bewegt.
    Sie nickte schwach. Jetzt sah er, wie sich ihre Hand hob; sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Undeutlich konnte er ihr Gesicht erkennen, die zitternden Lippen, die langen Wimpern, die großen, schwarzen Augen, die von Tränen funkelten.
    »Es tut mir leid«, sagte Parsons. »Ich wollte nicht …«
    »Schon gut. Wir haben unter einer so großen Anspannung gestanden. So lange. Sie müssen wissen, ich habe ihn nie lebend gesehen. Und ihn Tag für Tag anzusehen, wie er dort drinnen schwebt, außer Reichweite – so unerreichbar fern von uns … Schon als Kind habe ich die ganze Zeit an nichts anderes gedacht. Ihn zurückzuholen. Ihn wiederzubekommen, ihn um mich zu haben. Wenn er wieder zum Leben erweckt werden könnte …« Ihre Fäuste öffneten sich, die Finger streckten sich aus, verlangend, tastend, und schlossen sich wieder um das Nichts. »Und jetzt, wo wir ihn wirklich zurückhaben …« Ganz abrupt brach sie ab.
    »Weiter«, drängte Parsons.
    Loris schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Parsons berührte ihr weiches, schwarzes Haar, das vom Nachtnebel feucht war. Sie protestierte nicht. Er zog sie an sich – sie protestierte noch immer nicht. Ihr warmer Atem wehte in einer Wolke empor, stieg um ihn her auf, mischte sich mit dem süßen Duft ihres Haars. Ihr Körper zitterte heftig und fieberte vor unterdrückten Empfindungen. Ihr Busen, gegen das Sternenlicht deutlich umrissen, hob und senkte sich, und ihr Körper bebte unter der Seide ihres Gewandes.
    Seine Hand berührte ihre Wange, dann ihren Hals. Ihre vollen Lippen waren dicht an den seinen. Ihre Augen waren halb geschlossen, der Kopf war in den Nacken zurückgelegt, ihr Atem kam rasch. »Loris«, sagte er leise.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Bitte nicht.«
    »Warum vertraust du mir nicht? Warum willst du es mir nicht sagen? Was gibt es, was du nicht …«
    Mit einem rauhen Stöhnen machte sie sich frei und lief auf den Eingang zu, und die losen Teile des Gewands wehten hinter ihr her.
    Als er sie einholte, legte er die Arme um sie und verhinderte ihre Flucht. »Was ist los?« fragte er und versuchte, sie anzusehen, den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu lesen. Er wollte ihren Kopf hochzwingen, wollte, daß sie ihn anblickte.
    »Ich …«, begann sie.
    Die Tür des Apartments flog auf. Helmar sagte mit verzerrtem Gesicht: »Loris. Er …« Als er Parsons bemerkte, fuhr er fort:
    »Doktor. Kommen Sie.«
    Zu dritt liefen sie den Korridor entlang zur Treppe und die Treppe hinunter; atemlos erreichten sie den Raum, in dem Loris’ Vater lag. Wächter schoben sie hinein. Parsons erblickte komplizierte, ihm unbekannte Geräte, die soeben zusammengebaut wurden.
    Auf dem Bett lag Loris’ Vater, die Lippen geöffnet, die Augen glasig. Diese Augen, blicklos im Tod, starrten zur Decke hinauf.
    »Vereisung«, befahl Loris gerade irgendwo im Hintergrund, als Parsons seine Instrumente hervorklaubte.
    Als Parsons das Laken beiseite schob, sah er das gefiederte, gekerbte Ende eines Pfeiles aus der Brust des toten Mannes ragen.
    »Es ist wieder passiert«, sagte Helmar in einem Tonfall absoluter Hoffnungslosigkeit. »Wir dachten …« Seine Stimme versagte, verwirrt und unglücklich. »Vereist ihn!« rief er plötzlich, und Bedienstete drängten sich zwischen Parsons und das Bett. Er sah, wie sie den Leichnam geschickt anhoben und ihn in den leeren Quader schoben. Die Vereisungsflüssigkeit strömte hinein und umhüllte die Gestalt, bis sie völlig darin eingebettet und nur mehr verschwommen zu sehen war.
    Nach einer Weile sagte Loris bitter: »Nun, wir hatten recht.« Der Zorn in ihrer Stimme bestürzte Parsons. Wie unter einem Zwang drehte er sich um und sah einen Ausdruck auf ihrem Gesicht … Etwas Ähnliches hatte er noch nie zuvor auf dem Gesicht einer Frau gesehen. Einen

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