Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schachfigur im Zeitspiel

Schachfigur im Zeitspiel

Titel: Schachfigur im Zeitspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
von uns.«
    »Weißt du«, sagte Loris, »wir kennen uns mit diesen massiven Paradoxen immerhin einigermaßen aus. Seit der Zeit meines Vaters hat es ein ständiges Experimentieren mit den Ergebnissen der Vergangenheits-Veränderungen gegeben, um genau festzustellen, wie der historische Prozeß verläuft, wenn eine Veränderung – selbst eine winzige – vorgenommen wird. Die allgemeine Tendenz geht dahin, daß sich der riesige, träge Zeitstrom selbst reinigt. Daß er eine Art Ausgleich schafft. Es ist nahezu unmöglich, auf die ferne Zukunft einzuwirken … Wie Steine, die man in den Fluß wirft … eine Reihe von kleinen Wellen, die schließlich vergehen. Wenn wir unseren Plan verwirklichen wollen, müssen wir es schaffen, fünfzehn oder sechzehn bedeutende historische Persönlichkeiten umzubringen. Aber auch dann beenden wir die europäische Zivilisation nicht. Wir ändern sie nicht grundlegend. Es wird immer noch Telefone und Motorfahrzeuge und Voltaire geben – nehmen wir jedenfalls an.«
    »Aber ihr seid nicht sicher.«
    »Wie könnten wir das sein? Wir haben Grund zu glauben, daß im allgemeinen dieselben Personen, die jetzt existieren, auch dann noch existieren werden, nachdem unser Plan durchgeführt ist. Ihr Zustand, ihr Status – das mag verändert sein. Wenn man zurückschaut, werden die Zustände beeinflußbarer, je näher man dem ursprünglichen Zeitpunkt kommt. Das sechzehnte Jahrhundert wird vollkommen anders sein. Das siebzehnte nicht so total, aber immerhin noch erheblich. Das achtzehnte wird zwar anders, aber noch erkennbar sein. So stellen wir uns das wenigstens vor. Wir können uns täuschen. Beim Manipulieren der Geschichte ist eine Menge Raterei im Spiel. Aber …« Ihre Stimme wurde hart. »Wir waren so oft in der Vergangenheit, und trotzdem waren wir bisher nicht in der Lage, überhaupt eine Veränderung zu bewirken. Unser Problem liegt nicht darin, daß wir riskieren, die Gegenwart zu verändern, sondern daß wir unfähig sind, überhaupt etwas zu verändern.«
    »Es ist möglich«, sagte Parsons, »daß sie gar nicht geändert werden kann. Daß das Paradoxon jede Einmischung in die Vergangenheit verhindert – schon von der Definition her.«
    »Das kann durchaus sein. Aber wir wollen es wenigstens versuchen.« Sie zeigte mit einem kupferfarbenen, schlanken Finger auf ihn. »Du mußt dein Paradoxon zu seinem logischen Schluß führen. Wenn wir uns selbst beseitigen, indem wir in der Vergangenheit Erfolg haben, dann wird der Handelnde, der die Vergangenheit ändert, aufhören zu existieren – folglich wird es eine Änderung erst gar nicht geben. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, daß wir dort enden, wo wir jetzt sind: unfähig, von der Stelle zu bewegen, was bereits geschehen ist.«
    Er mußte zugeben, daß ihre Argumentation schlüssig war.
    Es gibt einfach keine vollständige Theorie über die Zeit, stellte er fest. Keine Hypothese, aufgrund der man Ergebnisse vorherbestimmen konnte.
    Es gab nur Experimente – und Rätselraten.
    Aber Milliarden Menschenleben, dachte er, ganze Zivilisationen hängen davon ab, wie genau diese Leute raten. Wäre es da nicht besser, keine weiteren Manipulationsversuche mehr zu riskieren? Sollte ich nicht, um der Jahrhunderte menschlicher Leistungen und Leiden willen, von Nova Albion und dem Jahr 1579 wegbleiben?
    Aber er hatte da eine Theorie. Eine Theorie, die ihm in den Sinn gekommen war, als er die Plastikfedern des Pfeils gesehen hatte.
    Genaugenommen eine Theorie, die ihm eingefallen war, als er in dem Stich von Sir Francis Drake etwas Bekanntes festgestellt hatte.
    Die Manipulation war bereits erfolgt. Das war seine Theorie. Und wenn er in der Vergangenheit war, dann würde er einfach nur beobachten und nichts verändern. Man hatte bis zum Geht-nicht-mehr an der Vergangenheit herumgebastelt, aber keiner von ihnen, weder Loris noch Corith, hatte es erkannt.
    Das Porträt von Drake würde, wenn man die Haut verdunkelte sowie den Bart und den Schnauzer entfernte, ganz wie ein Porträt von Al Stenog aussehen.

 
13
     
    Die alte, gebrechliche Gestalt saß unter einer schweren Wolldecke zusammengekauert im Rollstuhl. Zuerst schien sich Nixina seiner nicht bewußt zu sein. Er stand in der Türöffnung und wartete. Dann öffneten sich die Augen endlich. Aus den Tiefen schwamm ein Bruchstück von Persönlichkeit empor; dort, in ihrem Mienenspiel, sah er das Bewußtsein, das Aus-dem-Schlaf-in-die-Wirklichkeit-kommen. Für sie, in ihrem Alter, war der

Weitere Kostenlose Bücher