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Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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vertraten enthusiastische Anschauungen zu den verschiedensten Fragen. Um vier Uhr kündigte der Junge hinter der Theke an, dass für heute Schluss sei. Alles griff nach den Büchern. Die drei, denen ich zuhörte, setzten ihre Diskussion noch eine Zeit lang fort, bis von der Theke her die Ermahnung kam: »He, Leute, ich will hier raus!«
    Widerwillig nahmen sie ihre Taschen und bewegten sich zur Treppe. Ich stand auf und folgte ihnen gemächlich. Oben an der Treppe berührte ich die Rothaarige am Arm. Sie blieb stehen und sah mich offen und freundlich an.
    »Ich habe gehört, wie Sie die Universitäts-Frauengruppe erwähnten«, sagte ich. »Könnten Sie mir sagen, wo sie sich treffen?«
    »Sind Sie neu an der Uni?«, erkundigte sie sich. »Ich habe mal hier studiert, und ich hab' das Gefühl, ich muss diesen Sommer wieder ein bisschen Zeit hier investieren«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Also, wir haben da einen Raum in der University Street Nummer fünf-sieben-drei-fünf. Eins von den alten Häusern, die von der Uni übernommen wurden. Die UFG trifft sich jeden Dienstagabend; an den übrigen Wochentagen finden dort ebenfalls Frauenveranstaltungen statt.«
    Ich fragte nach dem Frauenzentrum. Anscheinend war es nicht groß, aber trotzdem besser als gar nichts, wie zu meiner Collegezeit; damals betrachteten sogar Frauen mit radikaler Einstellung das Wort Emanzipation als Schimpfwort. Hier gab es eine Gesundheitsberatungsstelle für Frauen sowie Kurse für Selbstverteidigung. Ferner organisierten sie Diskussionskreise und die wöchentlichen UFG-Abende.
    Wir hatten das Unigelände in Richtung auf die mittlere Zufahrt durchquert, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Ich bot ihr an, sie heimzufahren, und sie ließ sich wie ein Hundebaby auf den Vordersitz plumpsen, wobei sie sich lebhaft und freimütig über die Unterdrückung der Frau ausließ. Sie fragte nach meinem Beruf.
    »Ich bin freiberuflich tätig, meistens für Unternehmen«, erklärte ich und war auf weitere Fragen gefasst. Aber sie gab sich damit völlig zufrieden, erkundigte sich nur, ob ich Fotos machen würde. Mir wurde klar, dass sie vermutete, ich sei freie Schriftstellerin. Hätte ich ihr die Wahrheit gesagt, so musste ich befürchten, dass sie es jedem aus der UFG weitererzählen und es mir dadurch unmöglich machen würde, irgendetwas über Anita zu erfahren. Andererseits wollte ich faustdicke Lügen vermeiden. Sollte nämlich die Wahrheit doch ans Licht kommen, dann würden sich diese radikalen jungen Frauen noch feindseliger verhalten. Also sagte ich nur: »Nein, keine Fotos«, und fragte sie, ob sie selbst gern fotografiere. Sie plapperte immer noch munter vor sich hin, als wir vor ihrer Wohnung hielten.
    »Ich heiße Gail Sugarman«, verkündete sie, als sie umständlich aus dem Wagen kletterte.
    »How do you do, Gail«, erwiderte ich höflich. »Ich bin V. I. Warshawski.«
    »Vauieh!«, rief sie aus. »Was für ein ungewöhnlicher Name! Stammt er aus Afrika?«
    »Nein«, entgegnete ich ernsthaft, »er kommt aus Italien.« Beim Wegfahren konnte ich im Rückspiegel beobachten, wie sie die Stufen zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Sie gab mir das Gefühl, unglaublich alt zu sein. Selbst mit zwanzig hatte ich niemals diese naive und überwältigende Freundlichkeit besessen; ich kam mir zynisch und sehr weit weg von alldem vor, und ich schämte mich ein wenig, sie getäuscht zu haben.

5
    Goldküsten-Blues
    Der Lake Shore Drive, dieses einzige riesige Schlagloch, war zu Reparaturzwecken teilweise aufgegraben. Der Verkehr staute sich meilenweit, weil man in nördlicher Richtung nur zwei Fahrspuren benutzen konnte. Ich entschloss mich, den Stevenson Expressway in westlicher Richtung zu nehmen und mich dann über den Kennedy Expressway wieder nach Norden zu wenden. Er führte am Industriegebiet der North Side vorbei zum Flughafen. Das Verkehrschaos vergrößerte sich noch durch die Menschenmassen, die an diesem erstickend heißen Freitagabend versuchten, aus der Stadt herauszukommen. Ich brauchte über eine Stunde, um mich zur Ausfahrt Belmont Avenue durchzukämpfen; von dort aus waren es noch fünfzehn Querstraßen nach Osten bis zu meiner Wohnung. Als ich endlich dort eintraf, lechzte ich nur noch nach einem großen, kühlen Drink und einer ausgiebigen und beruhigenden Dusche.
    Auf der Treppe hatte ich niemanden hinter mir bemerkt, doch als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Schon einmal war ich hier auf dem

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