Schadensersatz
schmal.
»Vic, was ist mit Ihrem Gesicht los?«
Ich hob eine Braue. »Gar nichts ist los.«
»Nein, wirklich«, meinte er und beugte sich noch weiter herab. »Sie haben eine Risswunde - und das da auf Ihrer Wange sieht nach einem Bluterguss und einer Schwellung aus.«
»Ist es tatsächlich so schlimm?«, fragte ich. »Ich dachte, das Make-up hätte es ganz gut kaschiert.«
»Nun, auf die Titelseite von Vogue kommen Sie diese Woche nicht, aber es ist auch kein Beinbruch. Als alter Schadenexperte habe ich allerdings schon jede Menge Unfallopfer zu Gesicht bekommen, und genauso sehen Sie aus.«
»Ich fühle mich auch so«, bekannte ich, »aber eigentlich war es ...«
»Waren Sie schon beim Arzt?« unterbrach er mich.
»Sie reden genau wie der Taxifahrer, der mich heute Nachmittag nach Hause brachte. Er wollte mich postwendend in der Klinik abliefern. Ich rechnete bereits fest damit, dass er mit in meine Wohnung kommen würde, um mir eine Hühnersuppe zu kochen.«
»Ist Ihr Wagen stark beschädigt?«
»Mein Wagen ist überhaupt nicht beschädigt.« Ich fing an, die Geduld zu verlieren - grundlos, wie mir klar war; aber durch die Fragerei fühlte ich mich in die Defensive gedrängt.
»Nicht beschädigt?«, wiederholte er. »Wie sind Sie dann ...«
In diesem Augenblick wurde in der Bar unser Tisch ausgerufen. Ich erhob mich und ging hinüber zum Oberkellner. Die Bezahlung der Drinks überließ ich Ralph. Der Oberkellner führte mich zu dem Tisch, ohne auf Ralph zu warten. Als mir gerade der Stuhl zurechtgerückt wurde, traf er ein. Mein Anflug von Gereiztheit hatte ihn angesteckt. Er meinte: »Ich mag keine Kellner, die Damen entführen, ohne auf deren Begleiter zu warten.« Die Lautstärke war so dosiert, dass es für den Maitre noch vernehmbar war. »Entschuldigen Sie, Sir, ich wusste nicht, dass Sie zu der Dame gehören«, verkündete er vor seinem Abgang mit beachtlicher Würde.
»Kommen Sie, Ralph, nehmen Sie's nicht so tragisch«, beruhigte ich ihn sanft. »Wir befinden uns beide zu stark auf dem Ego-Trip. Hören wir doch damit auf. Lassen Sie uns die Sache klarstellen und noch mal von vorn anfangen.«
Ein Kellner erschien. »Wünschen Sie einen Drink vor dem Essen?«
Gereizt sah Ralph auf. »Wissen Sie überhaupt, wie viele Stunden wir in der Bar auf diesen Tisch gewartet haben? - Nein, wir möchten keinen Drink; jedenfalls ich nicht.« Er wandte sich zu mir. »Wie steht's mit Ihnen?«
»Nein, danke. Noch einen, und ich schlafe sofort ein. Damit beraube ich mich jeglicher Möglichkeit, Ihnen begreiflich zu machen, dass ich nicht versuche, mich vor unserer Verabredung zu drücken.«
Wollten wir jetzt unser Essen bestellen? Der Kellner war sehr hartnäckig. Ralph bat ihn rundheraus, uns einige Minuten in Ruhe zu lassen. Durch meine letzte Bemerkung hatte er seine angeborene gute Laune wieder gefunden. »Also gut, V.l. Warshawski - überzeugen Sie mich davon, dass Sie mir den Abend nicht mit Absicht so vermiesen, dass ich Sie nie mehr um ein Rendezvous bitten werde.«
»Ralph«, sagte ich und sah ihn fest an, »kennen Sie einen Earl Smeissen?«
»Wen?« fragte er verständnislos. »Ist das eine Art detektivisches Ratespiel?«
»Hm, ja - so ungefähr«, erwiderte ich. »In der Zeit zwischen gestern Nachmittag und heute Nachmittag habe ich mit einer ganzen Reihe von Leuten gesprochen, die entweder mit Peter Thayer oder seiner Freundin bekannt waren - dem verschwundenen Mädchen. Sie und Ihr Chef zählen auch dazu.
Als ich also am späten Nachmittag nach Hause kam, erwarteten mich dort zwei gedungene Ganoven. Ich hatte mit ihnen eine tätliche Auseinandersetzung. Eine Zeit lang konnte ich sie abwehren, aber dann schlug mich einer k. o., und sie brachten mich in Earl Smeissens Wohnung. Wenn Sie Earl noch nicht kennen sollten, dann versuchen Sie lieber nicht, seine Bekanntschaft zu machen. Als ich vor zehn Jahren bei der Staatsanwaltschaft als Pflichtverteidigerin beschäftigt war, war er gerade im Begriff, sich mit Gewalt an die Spitze seines Spezialgebiets vorzuarbeiten: Erpressung und Prostitution. Seitdem scheint er gut im Geschäft zu sein. Er hat jetzt eine Reihe schwerer Jungs um sich geschart, die alle bewaffnet sind. Man kann ihn nicht gerade als liebenswerten Menschen bezeichnen.«
Hier unterbrach ich meine zusammenfassende Darstellung. Aus dem Augenwinkel sah ich den Kellner wieder auftauchen, doch Ralph winkte ab. »Auf jeden Fall empfahl er mir dringend, mich aus dem Fall Thayer
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