Schadrach im Feuerofen
weitere, weniger offensichtliche Daten zu entziffern sucht, beginnen sich jedoch einige unerwartete Rätsel zu entwickeln. Mit der Produktion von Enzymen scheint es zu hapern, die Blutviskosität liegt unter dem Normalwert, die Cholesterolbildung darüber, und der pH-Wert des Blutes scheint erhöht.
Bei einem Mann vom Alter des Vorsitzenden, der in jüngster Zeit zwei ernste chirurgische Eingriffe erfahren hat, ist keines dieser Symptome ein Anlaß zu wirklicher Besorgnis – es wäre kaum vernünftig, zu erwarten, daß sein Gesundheitszustand vollkommen sei –, aber die Kombination der Symptome gibt Schadrach zu denken. Er fragt sich, wie viele seiner Ablesungen in Wirklichkeit der Entfernung zuzuschreiben sein mögen. Er hat Mühe, einige dieser Signale überhaupt wahrzunehmen, und so mag es sein, daß er sie nicht richtig deutet. Andererseits sind die Störungen – wenn es welche sind – von bemerkenswerter Beständigkeit. Jeder Ablesungsversuch ergibt die gleichen Werte.
Und eine Hypothese beginnt Gestalt anzunehmen.
Aus mehr als tausend Kilometern Entfernung eine Diagnose zu stellen, ist riskant. Schadrach vermißt seine medizinische Bücherei und seinen Datenanschluß, aber er hat eine Idee, von welcher Art das Problem sein könnte, und weiß, welche Daten er zur Bestätigung seiner Theorie benötigt. Was er nicht weiß, ist, ob Buckmasters Übertragungssystem gut genug ist, um so geringfügige Abweichungen richtig zu registrieren und in Form unmißverständlicher Signale über eine so weite Entfernung zu senden.
Wenn die Blutviskosität zu niedrig und der pH-Wert alkalisch ist, werden Plasmaproteinspiegel und osmotischer Druck zwischen Gewebe und Kapillargefäßen zu niedrig liegen. Ist der hydrostatische Blutdruck gleichzeitig normal, wie die Signale andeuten, dann kann sich in den Körpergeweben des Patienten überschüssige Flüssigkeit ansammeln. Das braucht für sich genommen nicht gefährlich zu sein, aber solche Ansammlungen können zur Entwicklung von Ödemen führen, und diese können symptomatisch für Nierenversagen und Leberfunktionsstörungen sein. Schadrach macht sich daran, die eingehenden Signale mit äußerster Konzentration zu entschlüsseln und zu durchforschen, ob weitere Anzeichen für die Bildung überschüssiger Flüssigkeit in den Geweben sprechen. Alles scheint in Ordnung zu sein. Schadrach neigt nun dazu, seine Hypothese aufzugeben. Vielleicht hat der Vorsitzende keine Schwierigkeiten. Diese wenigen negativen Hinweise waren wahrscheinlich nur Störgeräusche atmosphärischer Herkunft, und daher…
Aber dann bemerkt er, daß etwas im Schädel des Vorsitzenden nicht stimmt. Der Innendruck ist ungewöhnlich hoch.
Die Signale des in das Schädeldach des Patienten eingepflanzten Monitors sind für Schadrach weniger aufschlußreich als diejenigen anderer Meßsonden. Dschingis Khan II. Mao hat niemals einen Schlaganfall oder andere Gehirnschäden erlitten, die den Chirurgen Anlaß gegeben hätten, seinen Schädel zu öffnen. Daher muß Schadrach sich mit einer ziemlich oberflächlichen und lückenhaften Überwachung der Gehirnfunktionen zufrieden geben. Immerhin hat er einen Sensor, der ihm den Innendruck meldet, und der Anstieg dieses Drucks läßt ihn jetzt aufmerken. Sammelt sich die Flüssigkeit womöglich im Kopf an?
Schadrach zieht alle korrelativen Informationen heran, die er bekommen kann. Der osmotische Druck der Kapillargefäße des Schädels ist niedrig. Der hydrostatische Druck normal. Es besteht Blutandrang im Gehirn, und das System, das Flüssigkeit aus dem Inneren des Gehirns zur Hirnschale ableitet, wo sie vom Blutkreislauf aufgenommen wird, arbeitet offenbar nicht einwandfrei.
Im Augenblick bedeutet dies, daß der Patient wahrscheinlich unter Kopfschmerzen leidet, die sich verstärken werden, wenn Schadrach Mordechai nicht sofort nach Ulan Bator zurückkehrt, und daß es zu Gehirnschäden mit möglicherweise tödlichen Folgen kommen kann, wenn nichts unternommen wird. Es bedeutet auch, daß Schadrachs Urlaub zu Ende ist. Er muß auf die Besichtigung der Stadt verzichten. Der Bereich der Verbotenen Stadt, das historische Museum, die Ming-Gräber, der Konfuziustempel, der Kulturpalast des arbeitenden Volkes und die vielen anderen Sehenswürdigkeiten werden ihm unbekannt bleiben. Diese Dinge sind ihm jetzt nicht wichtig: dies ist der Augenblick, auf den er während seiner Wanderung von Kontinent zu Kontinent gewartet hat. Das labile System des alten Mannes hat
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