Schadrach im Feuerofen
Zukunftsperspektiven eröffne, muß den Anschein erwecken, als trügen die Geschichte und der Fortbestand der Menschheit ihren Sinn in sich selbst. Aber ich bin zu alt, als daß es mich noch kümmern könnte. Ich habe vergessen, warum mir wichtig war, was ich getan habe. Ich ziehe ein schal und albern gewordenes Spiel in die Länge, nicht bereit, es enden zu lassen, weil die Alternative das Nichts wäre. Und so mache ich weiter. Ich, Dschingis Khan II. Mao, Retter der Welt, muß vor meiner Umgebung die tiefe und lähmende Leere verbergen, die mich erfüllt. Ich bin müde. Ich bin des Lebens überdrüssig. Mein Kopf schmerzt. Mein Kopf schmerzt.
»Mordechai!« krächzt der Vorsitzende. »Diese Kopfschmerzen! Diese elenden Kopfschmerzen! Bringen Sie das in Ordnung!«
Der alte Mann sitzt aufrecht im Bett, im Rucken von drei Kissen gestützt, und bearbeitet Akten. Er sieht müde und zermürbt aus, mit verkrampfter Kinnlade und einem gepeinigten und gereizten Ausdruck in den Augen, die außerstande scheinen, sich längere Zeit auf einen Punkt zu konzentrieren. Aus dieser Nähe kann Schadrach mit Leichtigkeit ein Dutzend verschiedener Symptome des Drucks ausmachen, der sich in den Höhlungen des Gehirns aufbaut. Verschiedene Anzeichen lassen bereits erste geringfügige Beeinträchtigungen der Hirnfunktionen erkennen. An der Diagnose besteht jetzt kein Zweifel mehr.
»Sie waren zu lange fort, Doktor«, fährt der Vorsitzende ungnädig fort. »Sicherlich haben Sie sich gut amüsiert, ja. Aber die Kopfschmerzen, Doktor, diese elenden, scheußlichen Kopfschmerzen – ich hätte Sie nicht gehen lassen sollen. Ihr Platz ist hier, neben mir. Es war, als hätte ich meine rechte Hand auf Weltreise geschickt. Ein zweites Mal werde ich Sie nicht gehen lassen, das sollen Sie gleich wissen. Und nun kümmern Sie sich um meine Kopfschmerzen, die mich kaum noch arbeiten lassen. Ich bin am Verzweifeln. Dieser ständige Druck, das Pochen, und immer wieder dieser stechende Schmerz. Als ob etwas in meinem Schädel säße und herauszukommen suchte.«
»Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Wir werden das bald in Ordnung bringen.«
Der alte Mann verdreht die Augen in einer gequälten Grimasse. »Wie denn? Wollen Sie ein Loch in meinen Schädel bohren? Den Dämon wie eine stinkende Gaswolke entweichen lassen?«
Schadrach lächelt. »Ich bin kein Schamane, und dies ist nicht das Neolithikum. Die Trepanation ist längst veraltet. Wir haben bessere Methoden.« Er legt die Fingerspitzen an die Wangen des Alten, tastet die Knochenstruktur ab. »Entspannen Sie sich, bitte. Lassen Sie die Muskeln erschlaffen.« Es ist später Abend, und Schadrach ist müde und erschöpft. Er ist seit San Francisco kaum zur Ruhe gekommen und hat sofort nach der Ankunft in Ulan Bator den Vorsitzenden aufgesucht, ohne sich auch nur umzuziehen. Sein Bewußtsein ist ein Durcheinander von Zeitzonen, und er weiß nicht genau, ob es Samstag, Sonntag oder Freitag ist. Aber im Kern seines Wesens ist ein Raum völliger Ruhe und kristallener Klarheit. »Entspannen Sie sich«, wiederholt er. »Versuchen Sie die Verkrampfung zu lösen, lassen Sie die Spannung aus dem Nacken und den Schultern abfließen. Ganz ruhig jetzt, überlassen Sie sich einfach meinen Händen…«
»Mit Massagen und beruhigenden Reden werden Sie das nicht heilen«, ächzt der Vorsitzende.
»Aber wir können damit die Symptome mildern.«
»Und dann?«
»Wenn nötig, gibt es chirurgische Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen.«
»Sehen Sie, Sie werden also doch ein Loch in meinen Schädel bohren! Wie im Neolithikum!«
»Wir werden es eleganter machen, das verspreche ich.« Schadrach bewegt sich um das Kopfende des Bettes, bis er hinter dem Vorsitzenden steht und nicht von der Notwendigkeit abgelenkt wird, Augenkontakt mit dem reizbaren alten Mann zu halten.
Während er ihm die Hals- und Nackenmuskulatur massiert, konzentriert er sich auf diagnostische Wahrnehmungen. Hydrostatisches Ungleichgewicht, ja; Hirnhauterweiterung, ja; eine Ansammlung von Flüssigkeit in den Hohlräumen des Gehirns, ja. Die Lage ist keineswegs kritisch, und ein Eingriff ließe sich ohne großes Risiko noch wochen- oder monatelang hinausschieben, aber Schadrach beabsichtigt das Problem sofort anzupacken. Und nicht nur um des Vorsitzenden willen.
Der alte Mann beginnt die wohltuende Wirkung der Massage zu verspüren. »Es ist gut, Sie wiederzuhaben.«
»Das freut mich.«
»Sie hätten an den Feierlichkeiten teilnehmen
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