Schadrach im Feuerofen
Speichereinheiten. Es riecht nach Tieren, Lysol, Formaldehyd, Äthylalkohol, Mäusedreck und den Dämpfen von Bunsenbrennern. Die meisten Mitarbeiter des Avatara-Projekts sind für den Tag nach Haus gegangen, aber Crowfoot, angetan mit einem grauen Laborkittel und ausgetretenen Sandalen, arbeitet noch an einer fünf Meter langen Anhäufung von Rechnereinheiten, Eingabestationen, Bildschirmen und Tonbandgeräten, als er hereinkommt. Sie steht mit dem Rücken zur Tür und beobachtet pyrotechnische Ausbrüche von Grün, Blau und Rot auf dem Schaubild eines großen Oszilloskops. Schadrach nähert sich leise von hinten, schiebt die Hände unter ihren Armen durch und faßt ihre Brüste durch den Kittel. Bei der ersten Berührung fährt sie erschrocken zusammen, und er fühlt, wie ihr Rücken sich versteift, doch dann entspannt sie sich und dreht nicht einmal den Kopf.
»Idiot«, sagt sie, doch in ihrer Stimme ist nur Zärtlichkeit. »Lenk mich nicht ab. Ich habe hier eine dreifache Simulation. Das grüne Band ist das Persönlichkeitsbild des Vorsitzenden, und das blaue darüber ist unser Persönlichkeitskonstrukt vom April, und…«
»Das kannst du alles wegschmeißen. Der Vorsitzende ist auf dem Operationstisch gestorben, als wir ihm die Leber herausholten. Seit einer Stunde toben die Kämpfe um seine Nachfolge. Die Stadt…«
Sie windet sich in seiner Umarmung, dreht sich um und starrt ihn entsetzt an.
»… steht in Flammen, und wenn du genau hinhörst, kannst du die Explosionen hören, wo die Statuen in die Luft gesprengt werden…«
Sie sieht seinen Gesichtsausdruck und fängt an zu lachen. »Du bist wirklich verrückt! Mich so zu erschrecken!«
»Tatsächlich geht es ihm ausgezeichnet, obwohl Warhaftig die neue Leber mit der Oberseite nach unten hineingetan hat.«
»Hör auf, Schadrach.«
»Also gut. Er ist wirklich in guter Verfassung. Er hat sich zehn Minuten zur Erholung ausgebeten, und nun ist er im Tagungsraum des Revolutionsrates und vollführt mit den übrigen Mitgliedern einen mongolischen Säbeltanz.«
»Schadrach!«
»Ich kann nichts dafür. Ich bin in einer postoperativen manischen Phase.«
»Ich aber nicht. Ich habe einen schlechten Tag hinter mir.« Tatsächlich ist ihre Niedergeschlagenheit offenkundig, sobald er lange genug zur Ruhe kommt, um es wahrzunehmen: ihre Augen wirken überanstrengt, das Gesicht ist gespannt, die Schultern wirken eingefallen.
»Sind deine Versuche mißlungen?«
Sie nickt. »Wir haben sie ganz und gar verpfuscht. Ich verwechselte ein paar Spulen und löschte drei wichtige Bänder, bevor einer von uns merkte, was geschah. Nun versuche ich zu retten, was noch übrigblieb. Das wirft uns einen, eineinhalb Monate zurück.«
»Arme Nicki. Kann ich irgendwie helfen?«
»Ja, du kannst mich ablenken und erheitern«, sagt sie. »Komische Gesichter schneiden. Wie verlief die Operation wirklich?«
»Glatt und fehlerlos. Warhaftig ist ein Zauberer. Er könnte einer Amöbe mit den bloßen Händen einen neuen Zellkern einpflanzen.«
»Und der Vorsitzende ruht?«
»Er schlummert wie ein Kind«, sagt Mardechai. »Es ist beinahe unanständig, wie ein siebenundachtzigjähriger Mann alle paar Monate irgendwo operiert wird und jedes Mal im Nu wieder auf den Beinen ist.«
»Ist er wirklich siebenundachtzig?«
Schadrach zuckt die Achseln. »Das ist die offizielle Angabe. Es gibt Geschichten, daß er älter sei, neunzig, fünfundneunzig, sogar über hundert. Gerüchte wollen wissen, er habe im Zweiten Weltkrieg gedient. Ob es stimmt, kann ich nicht sagen. Die Altersangaben gelten ohnehin nur für das Gehirn, das Skelett und die Haut mit dem Fleisch darunter. Der Rest ist aus neueren Teilen zusammengestückelt. Eine Lunge hier, eine Niere dort, Arterien aus Dacron, Hüftgelenke aus Keramik, eine Schulter aus Molybdänstahl, alle paar Jahre eine neue Leber… ich weiß selbst nicht, wie das alles zusammenwirkt. Aber er scheint die ganze Zeit jünger und kräftiger und schlauer zu werden. Du solltest hören, wie seine Lebensfunktionen hier in mir dahinticken.«
Sie legt die Hand an Schadrachs Hüfte, als wolle sie die eingepflanzten Empfänger fühlen. »Tatsächlich; für sein Alter geht es ihm ausgezeichnet. Im Augenblick schläft er mit einer Krankenschwester. Warte, ich glaube, er kommt! Nein, es war nur ein Niesen. Und nun kann ich sogar hören! Gesundheit, sagte sie gerade. Übrigens, wie sieht es mit seinem Geschlechtsleben aus?«
»Ich versuche nicht zu fragen.«
»Sagen
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