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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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ließ sie ihn ihre Geringschätzung spüren. Nicht mit Worten, aber mit kurzen, abschätzigen Blicken, einem Zucken der eleganten Nasenflügel, einem spöttischen Verziehen der Mundwinkel.
    Wie sie jetzt am Traumtod-Pavillon vorbeigehen, ohne ihm mehr als flüchtige Beachtung zu schenken, und während Schadrach noch bemüht ist, das Vorstellungsbild von Katja Lindmans entblößtem Körper aus seinen Gedanken zu vertreiben, sagt Nicki: »Ist es nicht riskant, daß du ein paar Stunden nach einer schweren Operation so weit von Ulan Bator fortgehst?«
    »Nicht besonders. Tatsächlich gehe ich am Abend nach einer Transplantation immer aus. Das ist eine kleine Entschädigung, die ich mir nach einem schweren Tag gönne. Übrigens ist es eine sehr günstige und passende Gelegenheit für einen Ausflug nach Karakorum.«
    »Wieso?«
    »Er liegt in der Intensivstation. Sollten irgendwelche Komplikationen auftreten, so geben die Überwachungsgeräte augenblicklich Alarm, und der diensttuende Arzt ist zur Stelle. Schließlich verlangt meine Stellung nicht von mir, daß ich dem alten Mann vierundzwanzig Stunden am Tag die Hand halte. Das ist nicht erforderlich, und er will es auch gar nicht.«
    Über dem Palast wird plötzlich ein Feuerwerk abgebrannt. Raketen steigen in den Sternhimmel, zerplatzen zu grünen, roten und goldenen Rosetten und Rädern, die sekundenlang herabstrahlen, bevor sie verblassen und von neuen Rädern und Lichtgarben abgelöst werden. Schadrach bildet sich ein, das Gesicht des Vorsitzenden herabblicken zu sehen, aber nein, bloß Selbsttäuschung. Das Muster der Feuerwerksexplosionen ist ganz zufällig und abstrakt.
    »Wenn eine Notsituation entsteht, wird man dich rufen, nicht wahr?« fragt Nicki.
    »Das wird nicht nötig sein«, antwortet Mordechai. Aus dem Traumtod-Pavillon dringt unheimliche, dissonante Musik. Er erschauert und klopft leicht auf seinen Oberschenkel, wo ein paar der eingepflanzten Signalgeber sind. »Erstens werde ich bei einem postoperativen Kollaps nicht gebraucht, weil die Intensivstation über alle Möglichkeiten verfügt, und zweitens bin ich über sein Befinden auf dem laufenden.«
    »Selbst hier draußen?«
    Er nickt. »Die Grenze liegt bei etwa tausend Kilometern. Ich empfange ihn klar: Er scheint zu schlafen, ruht jedenfalls aus, seine Temperatur liegt ungefähr ein Grad über normal, der Puls ist ein wenig beschleunigt, die neue Leber integriert sich recht ordentlich und wirkt sich bereits günstig auf sein allgemeines Stoffwechselsystem aus. Bei einer Verschlimmerung seines Zustandes bin ich sofort im Bilde und kann in eineinhalb Stunden bei ihm sein, sollte das nötig werden. Einstweilen bleibe ich unterrichtet und genieße die Freiheit, mich zu amüsieren.«
    »Immer mit dem Bewußtsein seines Gesundheitszustands.«
    »Ja, immer. Selbst wenn ich schlafe, ticken die Impulse in mir weiter.«
    »Deine eingepflanzten Signalgeber interessieren mich psychologisch«, sagt Nicki. Sie bleiben vor einem Süßigkeitenstand stehen, um Erfrischungen zu kaufen. Der Verkäufer, ein gedrungener, breitnasiger Mongole, bietet ihnen Airag an, das alte mongolische Nationalgetränk aus vergorener Pferdemilch. Schadrach nimmt zwei Becher, einen für sich und einen für Nicki. Sie macht ein Gesicht, trinkt aber und findet es erfrischend. »Ich meine, wenn ich dich und den Vorsitzenden unter strikt kybernetischen Gesichtspunkten betrachte, ist es schwierig zu entscheiden, wo deine Individualität aufhört und seine anfängt. Du und er, ihr bildet eine einzige, sich selbst korrigierende, Informationen verarbeitende Einheit, praktisch ein einziges Lebenssystem.«
    »So sehe ich es eigentlich nicht«, erwidert Mordechai. »Es mag einen ständigen Informationsfluß von seinem Körper zum meinigen geben, und die von ihm empfangenen Informationen haben auch einen Einfluß auf mein und dadurch unter Umständen auch auf sein Handeln, aber er bleibt ein autonomes Wesen, der Vorsitzende des Revolutionsrates, ausgestattet mit aller Macht und allen Privilegien, die das mit sich bringt, während ich bloß…«
    »Nein, du mußt es aus einem anderen Blickwinkel sehen«, widerspricht Nicki ungeduldig. »Nehmen wir an, du wärst Michelangelo und versuchtest einen gewaltigen Marmorblock in den David zu verwandeln. Die Gestalt ist im Marmor eingeschlossen; du mußt sie mit Schlegel und Meißel befreien, nicht wahr? Du schlägst auf den Block, und ein Marmorsplitter wird abgespalten. Du schlägst wieder zu, und ein

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