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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gewöhnlichen Patienten reagieren mag, das ist alles. Der Unterschied ist nur quantitativ. Du kannst jede Arzt-Patient-Beziehung als ein einziges, sich selbst berichtigendes, Informationen verarbeitendes System betrachten, aber ich denke nicht, daß die Verbindung zwischen dem Vorsitzenden und mir etwas davon grundsätzlich Verschiedenes ist. Würde ich krank, wenn er das Bett hüten muß, hättest du recht, aber…«
    Nicki Crowfoot seufzte. »Laß gut sein. Es ist all dies Palaver nicht wert. Im Laboratorium haben wir ständig mit dem Prinzip zu tun, daß die allgemein gültige Vorstellung vom >Selbst< ziemlich bedeutungslos ist, daß man in Begriffen von größeren Systemen denken muß, aber vielleicht dehne ich das Prinzip auf Gebiete aus, wo es nicht ohne weiteres anwendbar ist. Oder vielleicht klappt es im Moment nicht mit unserer Kommunikation.« Sie schließt einen Moment die Augen, und ihr Gesicht verhärtet sich, als versuche sie einen störenden Gedanken zu unterdrücken, der ihr durch den Sinn geht. Eine neue Salve von Feuerwerkskörpern erhellt den Himmel mit grünen und grellroten Explosionen. Wilde, stachlige Musik, nichts als Knurren und Kreischen, durchdringt die Luft. Nicki entspannt sich, lächelt, nickt zu dem im Licht bunter Lampions schimmernden Zelt der Transtemporalisten hinüber und sagt: »Genug davon. Jetzt etwas Abwechslung.«
     

6
    »Wenn Sie es wünschen, werde ich Sie mit unserem Brauch bekannt machen«, sagt der Transtemporalist mit tiefer, undeutlicher Stimme. Er ist ein Mongole mit unbewegtem, monolitisch erscheinendem Gesicht, das nur aus Nase und Backenknochen zu bestehen scheint; die Augen sind in den Schatten ihrer Höhlen verborgen.
    »Nicht nötig«, antwortet Mordechai. »Ich bin schon hier gewesen.«
    »Ja, natürlich.« Der Mann zeigt ein kaum merkliches Lächeln. »Ich war mir dessen nicht sicher, Doktor Mordechai.«
    Schadrach ist es gewohnt, erkannt zu werden. Die Mongolei wimmelt von Fremden, aber es sind sehr wenige Schwarze darunter. Darum ist er kaum überrascht, als er seinen Namen aus dem Mund des Mongolen hört. Gleichwohl hätte er hier in Karakorum mehr Anonymität begrüßt. Der Transtemporalist kniet nieder und bedeutet ihm, das gleiche zu tun. Sie sind in einem kleinen, von Teppichen, die im Innern des großen, halbdunklen Zelts über gespannte Seile gehängt sind, eingefaßten Abteil. Zwischen ihnen flackert das Licht einer dicken gelben Kerze, die in einem zinnernen Halter auf dem irdenen Boden steht, und schickt eine Spirale schwarzen, säuerlich riechenden Rauchs zum ansteigenden Zeltdach empor. Andere, urtümliche Gerüche dringen Schadrach in die Nase, der durchdringende Geruch der zottigen Ziegenfelle, aus denen die Außenwand besteht, und der stechende, bittere Gestank eines mit Kuh- oder Kameldung genährten Feuers irgendwo in seiner Nähe. Der Boden ist mit Sägemehl bestreut, ein Luxus in diesem Land weniger Bäume. Der Transtemporalist beschäftigt sich mit der Chemie seines Berufs und mischt Flüssigkeiten in einem großen Zinnbecher, eine ölige blaue und eine dünne rosafarbene, die er mit einem elfenbeinernen Stab umrührt, um schließlich Prisen eines grünen und eines gelblichen Pulvers hinzuzufügen. Schadrach argwöhnt, daß das meiste davon Hokuspokus ist, daß nur eine dieser Substanzen die wahre Droge ist, während die anderen bloße Dekoration sind. Aber Rituale gleich welcher Art verlangen nach Geheimnis und Farbe, und diese ernsten, herben Priester ihres Gewerbes, die in einer uralten schamanistischen Tradition wurzeln und von sich behaupten, in allen Bereichen des Raumes und der Zeit zu Hause zu sein, müssen ihre Effekte nach bestem Vermögen erhöhen. Schadrach fragt sich, wie weit Nicki in diesen Augenblicken von ihm entfernt ist. Sie wurden am Eingang zum Zelt getrennt und jeder von schweigsamen Türhütern durch das Halbdunkel zu einem anderen Abteil geführt. Die Reise in Zeit und Raum muß jeder allein antreten.
    Der Mongole beschließt seine Vorbereitungen, hebt den Zinnbecher behutsam mit beiden Händen empor und reicht ihn über die zuckende Kerzenflamme hinweg Schadrach Mordechai.
    »Trinken Sie«, sagt er, und Schadrach, der sich ein wenig wie Tristan vorkommt, trinkt. Er gibt den Becher zurück, bleibt wie sein Gegenüber auf den Fersen niedergekauert sitzen und wartet.
    »Geben Sie mir Ihre Hände«, murmelt der Transtemporalist.
    Schadrach streckt sie ihm hin, die Handflächen nach oben. Der Mongole bedeckt sie mit

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