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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Aschenwolken und Bimssteinregen, ein unregelmäßiger, furchterregender Stumpf. Die Luft wird heißer, bis sie zu brennen scheint. Die Flüchtlinge schleppen sich weiter, einer Rettung entgegen, die sie nie erreichen werden. Die Luft ist kaum noch zu atmen; die Menschen erbrechen, keuchen und husten, sie würgen, fassen sich an die Kehlen, brechen zusammen.
    Ayuda! Ayuda!
    Aber es gibt keine Hilfe. Sie sterben hier am Nachmittag dieses Tages, der so strahlend begonnen hatte.
    Schadrach, verzweifelt in einer Atmosphäre keuchend, die zur Hälfte Asche und zur anderen Hälfte Kohlenmonoxid ist, kann sich selbst kaum noch auf den Beinen halten. Als neben ihm eine junge Frau hinstürzt, die ein kleines Kind auf dem Rücken trägt, erinnert er sich, daß er Arzt ist, und kniet neben ihr nieder. Das Gesicht der Frau ist verzerrt und vom Sauerstoffmangel violett verfärbt.
    - Soy medico.
    - Gracias, senor. Gracias.
    Sie keucht die Worte, daß er sie kaum versteht. Sie blickt in verzweifelt aufflackernder Hoffnung zu ihm auf, erwartet Hilfe, Medizin, einen Trunk Wasser, irgend etwas. Wie kann er ihr helfen? Er ist Arzt, ja, aber kann er die Sterbende lehren, vergiftete Luft zu atmen? Er sieht, daß das Kleinkind auf ihrem Rücken bereits tot ist. Sie würgt und windet sich, dann geht ein Schauer durch ihren Körper, und plötzlich gähnt sie unerwartet. Sie scheint in seinen Armen einzuschlafen. Aber es ist eine tödliche Schläfrigkeit, aus der sie nicht wieder erwachen wird. Er läßt sie sanft zu Boden gleiten, erhebt sich taumelnd, das Taschentuch vor Mund und Nase gedrückt, aber es hat keinen Zweck. Er strauchelt und fällt wieder und kommt nicht mehr hoch, liegt inmitten schluchzender, würgender, stöhnender Opfer, selbst eines von ihnen.
    So also war der Tag der Katastrophe. Dunkelheit und Asche, Flucht und Tod. Der freche kleine Junge, die Frauen, die auf den Straßen Fleisch geröstet hatten, die Ladenbesitzer, die Taxifahrer und Polizisten, die reichen Leute aus den Villenvororten, der hochgewachsene, schwarzhäutige Fremde, alle sterben jetzt gemeinsam. Die Stunden der angstvollen Flucht waren umsonst, und Cotopaxis Aschenauswurf füllt den Himmel, taucht die Welt in blutrotes Zwielicht. Weltuntergang, ja. Schadrach krallt nach der Asche, die ihm in den nach Luft schnappenden Mund gedrungen ist. Mit halbem Bewußtsein nimmt er eine weitere Explosion wahr, eine geringere – denn was könnte jenem, letzten, unvorstellbarem, apokalyptischem Ausbruch gleichkommen? – dann zwei oder drei weitere, und er weiß, daß die Explosionen mit abnehmender Stärke noch viele Stunden andauern werden. Heute nacht wird in Ekuador niemand schlafen; der Donner vom Cotopaxi wird von Patagonien bis Mexiko widerhallen und über beide Ozeane hinausreichen. Der neue Tag mit seinem stauberfüllten graugelben Himmel aber wird bereits einer neuen Ära angehören, in der eine alte Welt zu Grabe getragen wird und eine neue entsteht. Aufruhr und Revolution in Brasilien, Argentinien und Kolumbien, von dort übergreifend nach Mittelamerika, Afrika, Indonesien: ein Blutbad liefert das Stichwort für das nächste, und hinter allem steht, bewußt oder unbewußt wahrgenommen, der Cotopaxi als Fanal und Symbol für den Umsturz des Bestehenden. Die wirtschaftlichen Krisen der siebziger Jahre, die Knappheit und die Repressionen der verarmenden achtziger Jahre mußten unausweichlich zum weltweiten Chaos, zur globalen Revolution einer langen Walpurgisnacht führen; die gewaltige Eruption des Cotopaxi wurde auf eine unberechenbare Art und Weise zum auslösenden Signal.
    So also war es am Abend der Katastrophe. Die zornigen Götter erschütterten die Welt und brachten Tod und Zerstörung über Gerechte und Ungerechte. Schadrach läßt den Kopf sinken, schließt die Augen und ergibt sich der weichen, warmen Flugasche, die sich friedevoll auf ihn herabsenkt. Dies ist die Nacht des Todes, ja, das Ende einer Welt, der Posaunenschall des Jüngsten Gerichts, das Erbrechen des siebten Siegels, und er ist ein Teil davon gewesen, er hat von der Asche des Vulkans gekostet. Und nun schläft er.
     

7
    Er steht benommen auf dem kiesbestreuten Weg vor dem Zelt der Transtemporalisten, und der schweflige Geschmack des Vulkans hält sich irgendwie in seinem Mund. Nicki ist noch nicht zum Vorschein gekommen. Unter den vielen Vergnügungshungrigen und Bummlern sind verschiedene Leute, die er kennt, Männer und Frauen, die zum persönlichen Mitarbeiterstab des

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