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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Gottheit, gekommen, sie in Sicherheit zu führen. Aber er führt niemanden. Er folgt dem Zug der Flüchtlinge, ist hilflos wie alle anderen. Manchmal, wenn der Druck der Nachdrängenden es ihm erlaubt, macht er halt und blickt zurück. Der Vulkan speit jetzt Bimsstein und Asche, pulveriges Material, das die Luft gelb färbt und die Sonne zu einem stumpfen Orangerot verblassen läßt. Wieder rumpelt und grollt es tief im Erdinnern. Die ganze Stadt erbebt; Dachziegel und erste Mauerbrocken prasseln auf die Straßen herab. Automobile mit gutgekleideten Bürgern der Oberklassen kriechen unablässig hupend durch die Straßen, außerstande, im Strom der Fußgänger voranzukommen; es kommt zu Auseinandersetzungen, Geschrei, Tätlichkeiten. Wagen werden umgeworfen, einer geht in Flammen auf. Die nachfolgenden Fahrzeuge kommen nun nicht mehr weiter und müssen von ihren Passagieren aufgegeben werden. Schadrach marschiert mechanisch im Zug der Flüchtlinge dahin. Die Luft ist diesig geworden und hat einen beißenden, bitteren Geruch, der einen husten macht. Schadrach ist noch nicht aus der Stadt, als es Asche zu regnen beginnt, und als er die Vorstadt erreicht, liegt der schwarze Schnee bereits knöcheltief auf den Straßen. In der Ferne dauert das dumpfe Donnern der Eruptionen an, und die Leute mühen sich durch den Aschenregen weiter, so gut sie können, halten sich Kopftücher und Lappen vor Mund und Nase. Schadrach weiß, was bald geschehen wird. Mit der unheimlichen, zweischneidigen Sicht des Zeitreisenden blickt er vorwärts und rückwärts zugleich, erinnert sich der Zukunft. Nicht lange, und eine noch in tausend Kilometern Entfernung gehörte Explosion wird den Cotopaxi zerreißen. Erdbeben, Aschenregen und erstickende Gaswolken werden weite Landstriche verwüsten. Er hat diese Nacht schon einmal durchlebt, aber nicht mit dem Wissen, das er jetzt besitzt. Irgendwo in weiter Ferne ist in diesem Augenblick der fünfzehnjährige Schadrach, ganz Arme und Beine und große Augen, macht zu Hause in Philadelphia seine Hausaufgaben und träumt vom Medizinstudium. Er wird in den Abendnachrichten von der Katastrophe erfahren und sich darunter nicht allzu viel vorstellen können, aber am nächsten Morgen wird er den Himmel gelbgetönt sehen, mit einer stumpfroten, bedrohlich wirkenden Sonne, und dann wird tagelang der feine Staub fallen und den Sommertagen frühe Dämmerung bringen. Und aus Südamerika werden immer neue Schreckensnachrichten über die furchtbare Eruption und den Verlust von Hunderttausenden von Menschenleben bekannt. Was jener junge Schadrach nicht weiß, was bis auf den Fremden, der im Aschenregen durch die nördlichen Vororte von Quito stapft, niemand weiß, ist, daß die Explosion des Cotopaxi mehr als ein Naturereignis darstellt: sie signalisiert eine politische Apokalypse, den endgültigen Zusammenbruch der versteinerten alten Herr Schafts Strukturen des Subkontinents, und von hier ausgehend, in anderen Teilen der Welt.
    - El fin del mundo!
    Ja. Das Ende einer Welt.
    Und nun kommt die Explosion.
    Sie ereignet sich in Etappen. Zuerst vernimmt man fünf deutlich unterschiedene, dumpf krachende Explosionen wie von Geschützfeuer; darauf folgt eine sekundenlange völlige Stille, während der sogar das anhaltende Grollen und Rumoren im Erdinnern verstummt; dann erfolgt ein heftiger Erdstoß, begleitet von einem einzigen monströsen Schlag, dem lautesten Geräusch, das Schadrach je gehört hat, einem ohrenbetäubenden Donnerschlag, der Fenster eindrückt und Mauern spaltet; dann abermals Stille; dann wieder das Grollen und Rumoren; dann neuerliches Geschützfeuer, eine Folge rascher, harter Schläge; darauf wieder Stille, eine unheilverkündende, drohende, nervenaufreibende Stille; und schließlich das Geräusch aller Geräusche, viel lauter noch als das erste, eine nichtendenwollende, furchtbare Geräuschlawine, die Menschen zu Boden wirft, ihnen die Trommelfelle sprengt und die Augen aus den Höhlen treibt, ein Ton, der wie der Schrei eines zornigen Gottes über das Land hinrollt. Und der Himmel wird schwarz, und rotes Feuer ergießt sich aus dem Berg, der nun in einen niedrigen, breiten Krater verwandelt scheint. Schadrach sieht Brocken des verschwundenen Gipfels herabregnen, die aus fünfzig Kilometern Entfernung klar vor dem brennenden Horizont zu erkennen sind und die Abmessungen großer Gebäude haben müssen. Der vollkommene Kegel, einst so anmutig wie der Fudschijama, ist eine Ruine, trübe sichtbar durch

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