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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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daran gedacht, Nairobi oder eine andere schwarzafrikanische Stadt zu besuchen, trotz der vage empfundenen Bande zur Urheimat. Aber Spontaneität, so sagt er sich, ist gut für die Seele. Die Vorstellung, nach Nairobi zu fliegen, erscheint ihm auf einmal reizvoll, und da noch Plätze frei sind, folgt er dem Impuls und geht ohne Zögern an Bord.
    Er hat die Mongolei seit zweieinhalb Jahren nicht verlassen. Damals hatte der Vorsitzende ziemlich unerwartet beschlossen, einen groß aufgezogenen Kongreß der nationalen Revolutionsräte zu präsidieren, der im heruntergekommenen alten Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York stattgefunden hatte. Schadrach war damals noch nicht der Leibarzt des Vorsitzenden gewesen – ein schlauer, diplomatischer portugiesischer Internist namens Teixeira hatte diesen Posten gehabt –, aber eben dieser Teixeira war an Leukämie erkrankt, und in den Monaten bis zu seinem mit Fassung erwarteten Tode hatte er Schadrach als seinen Nachfolger eingearbeitet. Der Kongreß aber – und die weite Flugreise – hatten den betagten Vorsitzenden so sehr angestrengt und erschöpft, daß er Ulan Bator mit seiner gesunden, trockenen Höhenluft seither nicht verlassen hat. Gleiches galt bis zum heutigen Tag für Schadrach; aber nun blickt er durch das runde Fenster des spartanisch eingerichteten Passagierabteils einer Transportmaschine und sieht die Eintönigkeit der frühlingsgrünen mongolischen Steppe in der Tiefe versinken. Noch heute wird er in Afrika sein.
    Afrika! Schon verschwimmen und verblassen die telemetrischen Signale vom Vorsitzenden, als Schadrach sich der Tausend-Kilometer-Grenze nähert. Er fängt noch immer Daten auf, schwächliche Signale der eingepflanzten Empfänger, aber es wird immer schwieriger, sie in verständliche Analogien der Stoffwechselprozesse des Vorsitzenden umzusetzen. Dschingis Khan II. Mao, seine Nieren, seine Leber und Bauchspeicheldrüse, sein Herz, seine Arterien und Eingeweide sind weit entfernt und werden zunehmend unwirklich. Und bald darauf hören die Signale ganz auf, sinken unter die Wahrnehmbarkeitsschwelle und lassen Schadrach plötzlich mit seinem eigenen Körper allein. Diese Stille! Diese Abwesenheit aller Signale und Impulse! Er hatte vergessen, wie es ohne diesen ununterbrochenen Informationsfluß durch sein Bewußtsein ist, und anfangs fühlte er sich beinahe beraubt, als ob er eines seiner wichtigsten Sinnesorgane verloren hätte. Dann beginnt die innere Stille normal zu erscheinen, und er entspannt sich.
    Das Flugzeug ist breit und hat eine geräumige Passagierkabine, deren einfach ausgestattete Sitze nicht nach ökonomisch raumsparenden Gesichtspunkten eingebaut wurden und daher viel Beinfreiheit lassen. Es ist kein neues Flugzeug; Schadrach schätzt sein Alter auf zwanzig Jahre. Viele Industrien sind seit dem großen Krieg verschwunden, und die Flugzeugindustrie gehört dazu. Die enorm reduzierte Bevölkerung der Nachkriegszeit und die radikal veränderten Lebensbedingungen haben den privaten Reiseverkehr auf längeren Strecken praktisch zum Erliegen gebracht. Ein einziges Kombinat kann jetzt den Weltbedarf an Flugzeugen decken. Doch obwohl ein Vergleich mit der überfüllten und hektischen Welt der 1980er Jahre, als das alte Industriesystem – schon von ernsten Verknappungen und Umwälzungen bedroht – seine letzte Periode konvulsivischer Expansion erlebte, kaum möglich ist, haben der Krieg und die Organzersetzung den technologischen Fortschritt nicht auf allen Gebieten zum Erliegen gebracht: in Schadrachs Zeit gibt es bemerkenswerte Vervollkommnungen auf den Gebieten des öffentlichen Nahverkehrs, des Kommunikationswesens und der sozialen Dienstleistungen. Daß gegenüber den alten Tagen ein totaler Bruch stattgefunden hat, ist freilich nicht zu übersehen. Zwei Drittel der früheren Erdbevölkerung sind umgekommen, und der Rest lebt unter einer neuen, vereinheitlichten politischen Struktur. Hinzu kommt, daß es eine schrumpfende Gesellschaft ist, weiter dezimiert von der Seuche der Organzersetzung und bedrückt von einem Gefühl der Stagnation und Vergeblichkeit, das zu zerstreuen der Regierung trotz aller Bemühungen nicht gelingen will.
     
    2. Juni, Fortsetzung
    Wenn der Vorsitzende – den man mit einigem Recht Weltherrscher nennen kann – eine schizoide Persönlichkeit entwickelt, liegt der Gedanke nahe, daß dies ernste Folgen für die Masse der Bevölkerung hat. Mein eingehendes Studium der Geschichte hat mich zu der

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