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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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wettbewerbsverdächtige Zwitschern der Singvögel. Die Amsel, die am Dach der Bauhütte saß und bei seinem Anblick verstummte. Der Betonmischer, der dort eigentlich gar nicht sein dürfte, neben dem begonnenen Aushub für den Swimmingpool. Der bläuliche Kopf eines Mannes, der in der grauen, zähen Brühe steckte. Die Amsel fing wieder zu singen an. Senn hielt geschockt inne. Er griff in die Jackentasche, holte sein Telefon heraus, wählte die Notrufnummer der Rettung und stieg gleichzeitig zu dem Toten hinunter. War der überhaupt tot? Er ging auf die Knie und tastete mit ausgestrecktem Arm nach der Halsschlagader des Mannes. Als dieser plötzlich ein Röcheln von sich gab, fiel Senn vor Schreck nach hinten. Panisch wünschte er sich die Sanitäter herbei, um so schnell wie möglich von der Verantwortung befreit zu sein, etwas zur Rettung des Mannes unternehmen zu müssen. Der röchelte weiter und bewegte den Kopf, als wollte er Senn auffordern, näher zu ihm zu kommen. Kurz darauf trafen die Einsatzwagen von Polizei und Rettung ein. Der Notarzt stieg zu den beiden Männern hinab und sah, wie Senn seinen Kopf vom Gesicht des anderen wegdrehte. Ihm selbst blieb noch übrig, den Tod festzustellen und den Rest der Polizei zu überlassen. Und Senn fiel zu diesem nun unweigerlich arbeitsfreien Tag der Begriff „Mordschicht“ ein, den er in den folgenden Tagen noch ein paar Mal bemühen sollte, wenn er das Erlebte seinen Freunden und Kollegen erzählte.

5
    Obwohl Schäfer vom Kitzbüheler Postenkommandanten gebeten worden war, so schnell wie möglich an den Tatort zu kommen, entschied er sich anders. Vor dem zweiten Toten wollte er den ersten sehen – und der befand sich mittlerweile in der Gerichtsmedizin in Innsbruck. Freilich spielte auch noch etwas anderes in Schäfers Entscheidung mit. Je näher er seiner ehemaligen Heimat kam, desto unwohler fühlte er sich. Er brauchte nicht einmal die vorbeiziehende Landschaft zu sehen – die Erinnerungen drückten nach oben wie eine aufgeblasene Luftmatratze, die er nicht mehr unter Wasser halten konnte. Maria; die anderen Frauen; all die Verletzungen, die er anderen und sich selbst zugefügt hatte; der sinnlose Zorn, die Exzesse; die Freunde, die diese Zeit nicht überlebt hatten. So erschien Innsbruck als eine gute Zwischenstation. In der Anonymität der Stadt konnte er sich besser an den Tiroler Zustand anpassen, konnte er sich seinem Geburtsort von Westen annähern, von hinten quasi, sodass dieser ihn vielleicht nicht sofort auffressen würde.
    Schäfer lächelte wehmütig. Wie sehr seine Geschichte ihn unter Kontrolle hatte. Wie sehr seine Ängste und Ahnungen seine Handlungen beeinflussten. Bergmann. Schäfer sollte ihn anrufen und bitten, gleich nach Innsbruck zu fliegen. Vielleicht. Später.
    Als er ankam, schloss er als Erstes seine Reisetasche in ein Schließfach. Er trat vor das Bahnhofsgebäude und blickte auf die Nordkette, die steilen Gebirgswände, die um die Stadt eine natürliche Mauer bildeten. Beschützt und beschränkt – so hatte ein deutscher Studienkollege einmal die Tiroler unter dem Einfluss der Berge beschrieben. Und Schäfer hatte den Berliner in seiner Meinung bestätigen wollen und ihm ein volles Glas Bier ins Gesicht geschüttet. Er sah sich ungern in dieser Zeit. Er schämte sich, sobald er sich in Gedanken länger bei damaligen Ereignissen aufhielt. Was er tat, wie er war: wütend, rücksichtslos, dumm. Tot, traurig. Er schüttelte den Kopf, überquerte die Straße und ging in Richtung Klinikgelände, wo auch die Gerichtsmedizin untergebracht war.
    Der Portier blickte nicht auf, ehe Schäfer an die Scheibe seines Häuschens klopfte und seinen Dienstausweis dagegendrückte. Ein Polizist aus Wien. Um sich von seinen ehemaligen Landsleuten nicht gleich unterkriegen zu lassen, forderte Schäfer den Portier auf, ihm den Weg in die Pathologie zu zeigen. Und zwar, indem er ihn begleitete. Der Portier murrte kurz, verwies auf seine Anwesenheitspflicht und ging dann doch eiligen Schritts voraus, um Schäfer so schnell wie möglich loszuwerden. Die Gerichtsmedizin war im selben Trakt wie die Pathologie. Vor der Tür machte der Portier kehrt und verwies den Kommissar an einen Arzt, der hinter der Glasschiebetür am Kaffeeautomaten stand. Schäfer trat ein und dachte erst jetzt daran, dass der zuständige Mediziner unter Umständen gar nicht da war. Er hätte anrufen sollen. Wieso hatte sich Bergmann eigentlich noch nicht gemeldet, um ihn bei solchen

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