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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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ein Versager vorkam.

2
    Jeden Morgen fuhr Mike an Carolas Haus vorbei. Seit einem Monat holte er sie ab. So hatte ihre Freundschaft begonnen. Sie wurde intensiver, als sie merkten, dass sie wenig oder fast gar nichts mit den anderen in ihrer Stufe gemeinsam hatten. Sie hatten nichts mit all dem Disco-Kram im Sinn, mit dem die anderen die Zeit totschlugen. Mike saß am liebsten an seinem Klavier und spielte alles, was ihm in die Finger kam. Carola strich an Brücken, an Steinbrüchen, Abhängen und alten Gemäuern entlang, immer auf der Suche nach Klettergelegenheiten. Dann wieder trafen sie sich, meistens am oberen Burgweg, der am Moselhang entlang von Moselweiß auf die Karthause führte. An ihrem Geheimplatz, einer schmalen Felsnase, konnten sie stundenlange Gespräche führen. Hier hatten sie sich auch die Klettertour auf das Deutsche Eck ausgedacht.
    Sie gingen zurück zur Zündapp, die Mike auf dem Parkplatz an der Mosel abgestellt hatte, und fuhren zur Gülser Brücke. Dort setzten sie sich auf die Bank an der Fähranlegestelle.
    Die Brücke war durch eine Kette von gelblichen Lampen beleuchtet, die sich im glatten, schwarzen Wasser der Mosel spiegelten. Auf der anderen Seite des Flusses waren die Lichter von Güls zu sehen. Das Neonblau einer Aral-Tankstelle an der Uferstraße stach fremdartig hervor. In den hellen Flecken der Brückenlampen bewegten sich ein paar kleine Schatten. Enten.
    »Du hättest es auch schaffen können«, sagte Carola. Sie hatte den Oberkörper vorgebeugt und stützte das Kinn in die Hände.
    »Wenn ich so eine Sportskanone wie du wäre, vielleicht. Das Klettern ist nichts für mich.« Er räusperte sich. »Ich bin Musiker.«
    Sie lehnte sich zurück und sah ihn an. »Ach, tatsächlich? Und wann kommt mal ein richtiger Auftritt? Wann spielst du mal was in der Rhein-Mosel-Halle?«
    Mike schluckte. Das war sein wunder Punkt. Er dachte an das Notenpapier, das sich auf dem Klavier stapelte. An seine bleistiftgeschriebenen Versuche, Themen für Sonaten, Fugen oder wenigstens ein paar Popsongs zu erfinden. An die Momente, in denen er eine Schallplatte mit Glenn Gould oder Rubinstein auflegte und am liebsten seinen ganzen Mist verbrannt hätte.
    »Ich weiß auch nicht, woran es liegt«, sagte er leise. »Vielleicht habe ich Angst, mich zu blamieren. Meine Eltern fänden es auch nicht gut, wenn ich Musik studiere.«
    »Und was ist mit meinen Eltern? Du weißt doch, wie mein Vater über meine Klettertouren denkt. Und ich mach’s trotzdem.«
    »Ich bin eben nicht wie du.«
    »Nein – fauler.«
    Mike wollte nicht darüber nachdenken. Wahrscheinlich, weil sie Recht hatte. Einerseits stimmte das mit seinen Eltern schon. Es waren einfache Leute. Sein Vater war Fahrer bei einem großen Verlag und mächtig stolz auf seinen Sohn, der als Erster der Familie aufs Gymnasium ging. Die Mutter war Hausfrau und akzeptierte das andauernde Klavierspiel nur, weil Mike jedes Jahr am 24. Dezember ein paar Weihnachtslieder klimperte und sie damit bei ihren Freundinnen angeben konnte. Richtigen Unterricht hatte er nie gehabt. Ein knappes Jahr bei einem Musikstudenten, dann war es den Eltern zu teuer geworden. Der Gedanke, nächstes oder übernächstes Jahr womöglich einem Professorengremium vorzuspielen, machte ihn krank. Er hatte sich noch nicht mal getraut, mit Dr. Lange, seinem Musiklehrer in der Schule, darüber zu reden.
    Carola rieb sich die Arme.
    »Ist dir kalt?«, fragte er.
    »Nein.«
    Trotzdem legte Mike wie zufällig den Arm hinter sie und tastete mit der Hand langsam näher. Vorsichtig gelangte er an den Stoff ihrer Jacke. Die Luft roch nach Erde, Laub und dem Fluss. Mike spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Er überlegte, ob er etwas sagen sollte. Es fiel ihm aber nichts ein. Verdammt, er musste etwas unternehmen!
    »Willst du, dass wir zusammenbleiben?«, brachte er hervor.
    »Wir sind zusammen«, sagte sie sachlich. »Wir sind doch Freunde, oder?«
    »Ich meine eigentlich was anderes.«
    »Wenn es dir nur darauf ankommt. Mir ist eine richtige Freundschaft lieber.«
    Mike seufzte. »Aber, ich finde …« Er brach ab.
    Carola wandte ihm das Gesicht zu. Es war höchstens zehn Zentimeter entfernt; er konnte die Wärme spüren, die von ihr ausging. Es summte in seinen Ohren. Ihn durchzog ein Gefühl, als seien seine Adern mit Helium gefüllt. So musste es wahrscheinlich sein. Genau so.
    »Mike«, flüsterte sie.
    Was sie sagen wollte, ging in einem Knall unter, der von irgendwo plötzlich

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