Schängels Schatten
als du hier warst, mehr drin?«
Mike sah ihr über die Schulter. Die einzigen Dinge, die unverändert darin standen, waren der Stuhl und der Schreibtisch. Den Papierkram und das Laptop hatte die Polizei mitgenommen. »Das ist komplett ausgeräumt«, sagte er und vergaß zu flüstern.
»Ich habe doch gesagt, dass die gründlich sind.«
»Wir sollten sehen, dass wir hier rauskommen.«
Der Mann hatte das Klingeln und Klopfen aufgegeben.
»Wir müssen einen Blick auf die Hofeinfahrt werfen. Sonst laufen wir ihm direkt in die Arme«, sagte Anita. »Wo geht’s denn hier hin?«
Sie öffnete eine Tür; dahinter lag ein weiterer Raum. Darin war es finster. Das wenige Licht, das vom Flur hereinkam, spiegelte sich in dunklem Autolack.
»Das ist die Garage«, sagte Mike. »Hier kommen wir auch nicht raus. Jedenfalls nicht, ohne mit Getöse das Tor zu öffnen.«
»Ist das Carolas Auto?«, fragte Anita.
»Ja.«
Anita quetschte sich an dem Wagen vorbei und probierte die Fahrertür. Sie ließ sich öffnen. Im Innenraum ging das Licht an.
»Was hast du vor?«
»Moment mal, was ist das denn?« Sie beugte sich auf die Beifahrerseite.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Mike.
Anita holte etwas aus dem Wagen und kam wieder auf die andere Seite.
»Was ist das?«
»Sieht aus wie ein Stadtplan.«
»Und du meinst, der nützt uns was?«
»Vielleicht. Und jetzt hauen wir ab.«
»Und wenn der Typ draußen wartet? Oder die Polizei oder alle zusammen?«
»Riskieren wir es.« Ohne zu zögern öffnete Anita die Tür und stürmte in die gleißende Helligkeit hinaus. Mike musste blinzeln, aber er konnte immerhin erkennen, dass niemand auf der Straße war.
Anita schlug den Weg ins Tal ein, doch Mike hielt sie zurück. »Lass uns in Richtung Karthause raufgehen«, sagte er. »Wenn die Polizei kommt, fährt sie doch von unten rauf. Oben ist Sackgasse.«
»Und dann?«
»Ich weiß ein Versteck. Komm einfach hinter mir her.«
Mike machte, dass er die Straße hinaufkam. Sie wurde immer steiler. Als er den kleinen Wendehammer erreichte, hatte er das Gefühl, in Schweiß gebadet zu sein. Am Hohlweg wurde es noch anstrengender. Immerhin war hier neuerdings alles ordentlich gepflastert und mit Stufen versehen. Außerdem gab es Straßenlaternen und Geländer.
Während Mike mit der Steigung kämpfte, zogen Fetzen von Erinnerungen durch seinen Kopf. Als er noch kein Moped gehabt hatte, war er hier morgens zu Fuß hinaufgegangen. Manchmal, vor allem im Herbst, hatte es dabei ein tolles Naturereignis gegeben.
Das Moseltal lag in dichtem Nebel, so dass man unten in Güls und Moselweiß deprimiert einem tristen Tag entgegensah. Wenn man dann aber hier heraufkam, konnte es vorkommen, dass man mit einem Schritt aus dem Dunst heraustrat und – mit einer wabernden Wolke zu Füßen – im schönsten Sonnenlicht stand. Mike konnte sich genau daran erinnern, wie herrlich der restliche Schulweg in der Sonne gewesen war …
Er erreichte schwer atmend den oberen Ausgang des Hohlweges, riss sich den Hut vom Kopf und sah sich um. Anita, die er als wesentlich sportlicher eingeschätzt hatte, war weit zurückgefallen. Er musste eine Weile warten, bis ihr buntes Kleid zwischen dem Grün sichtbar wurde.
»Nun komm schon«, rief er. Der Schweiß rann ihm in Strömen herunter. Er zerrte das Tuch heraus und wischte sich über die Stirn.
Anita legte einen Schritt zu. Als sie bei Mike ankam, fand er nicht mal einen Schweißtropfen auf ihrem Gesicht. »Wo ist das Versteck?«, fragte sie.
»Es geht noch weiter.«
Alles in Mike sperrte sich gegen die Anstrengung. Aber es half nichts. Er zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zum Glück war es jetzt nicht mehr so steil. An der Stelle, wo der kleine Pfad zwischen den Büschen hindurchführte, hielt Mike an.
»Jetzt hier rein«, rief er.
»Was? Da durch?«
»Los«, sagte er und packte sie an den Armen.
Sie duckten sich und gelangten schnell durch den Tunnel aus dornigen Zweigen.
»Das ist ja ein toller Platz«, sagte Anita, als sie auf der Felsnase ins Sonnenlicht traten und sich endlich aufrichten konnten. »Woher kennst du denn den?« Bewundernd betrachtete sie die Aussicht. Jetzt, am hellen Tag, war sie phantastisch. Man hatte das Gefühl, über dem Moseltal zu schweben.
»Das war der Geheimplatz von Carola und mir«, sagte er. »Die Polizei kennt ihn hoffentlich nicht.«
»Die bräuchten sich nur unten nach Güls zu stellen, da würden sie mich als Farbfleck erkennen.«
»Verdammt, das
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