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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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sich fündig. Alles wies auf die verlassene Bohrung hin. Die Stelle, eine vor noch nicht allzu langer Zeit gerodete Lichtung, groß wie ein halber Fußballplatz, lag direkt neben dem Weg. Auf vielleicht zehn mal zehn Metern war hier ein Stoff ausgelegt wie Vlies, mit dem man Sockel von Häusern gegen Feuchtigkeit umkleidet. Unverrottbares Material, auch nicht zerreißbar. Darauf dann Schotter, verdichtet. Schweres Gerät hatte hier gestanden, das war ganz klar zu sehen. In der Mitte des Gevierts kreisrund ein Metallrohr, ein Meter im Durchmesser, kniehoch und mit Deckel, mittig verschraubt. Roter Rost flächig auf dem Metall. Das Ganze war noch nicht alt. Es musste die Bohrung sein.
    Was ihn dann sicher machte, war die nächste Umgebung. Der Boden der Lichtung war sandig und trocken, nur vereinzelte Büsche, das Unterholz spärlich. Hier und dort eine herausgerissene, senkrecht aufstehende Tellerwurzel, das Gelände gut einsehbar. Eine lichte Schneise, eingebettet in einen sonst tiefen Wald und dicht von ihm umgeben.
    Drei, vier Sandsteinblöcke lagen am Rand des Gevierts. Hier ließ sich Pal Weber nieder. Nur wenige Meter entfernt war der Weg. Vereinzelt Geräusche aus dem Wald. Das leise Pfeifen von Meisen auf der Futtersuche, ab und zu am Boden ein Rascheln, mal hier, mal dort. Ein Schwarzspecht kam, ein zweiter hinterher. Kurz klebten sie an den hochgewachsenen Kiefern am Rand, groß und schwarz. Der Schwarzspecht wirkt immer scheu und neugierig zugleich, dachte sich Weber. Und meistens kommen diese Vögel mit den roten Kappen zu zweit. Einäugig äugten sie seitlich auf ihn herunter, wechselten noch einmal den Baum, dann stieß der eine einen Schrei aus, und beide machten sich davon in den dichteren Waldbereich. Schon außer Sichtweite noch einmal ihr Schrei. Dann wieder Stille.
    Ein Jogger trabte vorbei, mit Hund, zu dem er beim Laufen sprach. Überrascht sah er zu Weber herüber. Ich würde wohl auch so gucken, dachte sich Weber, sähe ich jemanden da sitzen, so allein und mitten im Wald. Aber das war das Los des Ornithologen. Da musst du sitzen und warten.
    Dann eine Reiterin. Stolz hoch droben auf ihrem Gaul, der intensiv roch. Sie grüßte freundlich von oben herab, er zurück. Klappklapperdiklapp machten die Hufe des Pferdes, dann war die Reiterin weg.
    Pal Weber sah sich um. So offen konnte er nicht sitzen bleiben, kein Vogel würde sich ihm so zeigen, zumindest nicht ein so scheuer. Er würde sich tarnen, sich in eine der offenen Wurzelkuhlen zurückziehen, hineinkauern und mit ein paar Ästen überdecken. Das sollte genügen.
    Pal Weber sah sich um. Nahm die Waldluft auf, spürte die Kühle des Abends. Die Wipfel hoch droben touchierten letztes Sonnenlicht. Gut roch der Boden, trockener, weißer Waldsand mit Erde und Mulch, mit Rindenstücken, Blättern, Moos. Weber verbarg sein Fahrrad vor den Blicken des Weges hinter einem Busch, zog ein paar Äste heran und verkroch sich in ein Wurzelloch. Die aufgestellte Wurzel im Rücken, herangezogene Äste als Tarnung, so harrte er in den dunkelnden Abend hinein. Ein, zwei Stunden, vielleicht reichte das ja. Sich ruhig verhalten und warten. Er musste es zumindest versuchen.
    Ein erstes Käuzchen rief, nicht weit entfernt. Dann war es wieder still. Leicht rieselte immer wieder Sand hinter ihm herunter, gelöst durch die Bewegungen seines Rückens. Ein zweites Käuzchen ganz weit – wer kennt schon die Waldgeräusche der Nacht? Leise knisterte es in den Rinden, vereinzelt senkte sich ein leichtes Teil, eine Nadel, ein Blatt, ein Stück Rindenhaut. Dann raschelte eine Maus oder irgendetwas am Boden – es hatte immer wieder etwas Spannendes, so auf der Lauer zu liegen. Langsam nur dunkelte es ein. Über den Wipfeln hing noch ein Streif heller Dämmerung, nach oben hin wurde es dunkler.
    Der Weg lag noch immer nicht in Ruhe, der Wald war noch immer nicht menschenleer. Erstaunlich, wie viel so weit abseits noch los ist, dachte Pal Weber, als er sich näherndes Motorengeräusch vernahm. Dann fuhr ganz langsam ein Auto vorbei, wie spähend und ohne Licht. Geländewagen, aber kein echter. Businesswagen, SUV, X3 oder X5, Koleos, Q7 oder so, unnütz für das Gelände, nur reines Kraftgeprotz. Wahrscheinlich der Jagdpächter, dachte Pal Weber. Irgendein Arzt oder Rechtsanwalt, der sich hier Ansehen erkauft. Wer sonst fuhr so tief in den Wald, vor allem so spät? Aus seinem Unterstand spähte er dem Wagen hinterher. Nur einen Personenschatten nahm er im Fahrzeug wahr, wie

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