Schafkopf
hier oben? Das Sportheim war um diese Tageszeit doch zu. Würde ihn jetzt jemand fragen, was das für ein Auto war, er könnte es nicht sagen. War mit dem Kopf woanders. Nicht einmal die Farbe. Oder doch? Er sah hinüber zur Straße. Das Auto erreichte gerade den Wald. Dunkelblau? Egal. Was hatte der hier gemacht? Aber hier hielten ja öfters mal Autos, auf dem Parkplatz. Für den Blick hinunter in die Weite. Oder für heimliche Treffen. Liebschaften und so. Sollten sie doch tun, was sie wollten, ihn ging das alles nichts an.
Es war ein anstrengender Tag gewesen gestern. Das Dorf oben auf der Höhe hatte Kirschenfest gefeiert, und viele der Städter, die deshalb hierherkamen, hatten am Nachmittag einen Abstecher zum Bierkeller gemacht. Das hieß viel Betrieb. Heute, am Montag, aber hatte der Keller geschlossen. Und das war gut so.
In leichter S-Kurve, erst links, dann rechts, ging der geschotterte Weg von der Wiesenkuppe hinab zu der kleinen Senke hin zum Wald. Jetzt links ein Maisfeld, den Keller selbst sah man nicht. Nur ein paar Bänke vorn, unten am Waldrand. Johann Dinder bog nach links auf die zum Parken gemähte Wiese und stieg aus. Ein Buchfink schlug, nein: schmetterte drüben im Wald und machte das kühle Dunkel unter den Bäumen erst richtig zum Raum, zu einer Kathedrale. Was einem in meinem Alter noch alles für Bilder in den Kopf kommen, dachte sich Johann Dinder, während er die Autotüre schloss. Er hatte gestern am Abend – wie spät war es da? Halb neun vielleicht, kaum später, doch es saßen noch einige Gäste da – von Tisch zu Tisch gehend schon das Pfandgeld für die Krüge ausgezahlt, die Schankbude geschlossen, den Keller auch, und war dann nach Hause gefahren. Die Gäste, darum hatte er sie gebeten, sollten doch ihre Krüge neben der Schankbude im Wald unten abstellen. Die wollte er jetzt aufräumen, auch waren die Toiletten und vor allem die Böden noch nicht geputzt. Da schleppten die Gäste vom Waldboden immer den erdigen Staub mit hinein, und innen war der Boden nass, durch den Temperaturunterschied immer beschlagen. Der Staub klebte dann fest, und das sah wirklich nicht schön aus. Fast wie verschmierter Kot.
Von der Waldrandkante an führte eine schmale, unregelmäßige Steintreppe hinunter in die Schlucht, eingefasst links von dem kleinen Wirtshaus, das sich hier in den Hang kauerte und das Johann Dinder nur im Winter öffnete, und von steilen Hangterrassen rechts mit Holztischen unter dunklen Baumschatten. Unten, im Hangfundament des Wirtshauses, war der Eingang zum eigentlichen Keller, gegenüber die hölzerne Schankbude. Auf sie führten die engen Stufen zu. Erst unten an der Schankbude sah man den Eingang zum Keller selbst. Dieser Keller war ein riesiges, unterirdischen Gewölbe, vor Jahrhunderten schon in den Sandstein geschlagen, um im Sommer das Bier kühl zu halten und das Eis aufzubewahren – das Eis eines kleinen Wasserfalls, der die Schlucht überhaupt erst gegraben hatte. »Teufelsbadstube« hatte man die Schlucht einmal genannt. Wahrscheinlich weil sie immer kalt und im Winter durch den Bach und den Wasserfall dunstig war. Und voller Eis und Eiszapfen – aber hatten die in einer »Teufelsbadstube« etwas verloren? In der Hölle ist es doch heiß, in der Hölle gibt es kein Eis, schmunzelte Johann. Aber die Menschen denken halt nicht viel. Auf jeden Fall nicht genau. Er hob eine zusammengeknüllte Zigarettenschachtel auf, die ein Gast hier fallen gelassen hatte, und warf sie in den Papierkorb. Hätte der ja auch selbst machen können, der Korb stand doch gleich daneben. Aber so sind sie halt, die Städter.
Noch vor der untersten Stufe blieb Johann stehen. Irgendetwas stimmt heute nicht, dachte er, irgendetwas ist falsch, aber er wusste nicht was. Ein vages Gefühl, er konnte nicht sagen woher. Komischer Gedanke, dachte er sich, was soll schon los sein. Die Schankbude war ordnungsgemäß zu, die Läden geschlossen, so wie er sie gestern verlassen hatte. Es sah zumindest so aus. Auch die Gläser – ob es alle waren? Er zählte nicht nach, warum auch – standen dort, wohin er die Gäste gebeten hatte, sie abzustellen. Was sollte also sein? Ja, die Schankbude wurde hin und wieder aufgebrochen. War ja auch leicht bei diesem alten, hölzernen Verschlag. Als könnte man hier etwas holen! Aber der Platz war ideal für solch einen Blödsinn. Von der Straße her nicht einzusehen, kein Haus weit und breit, nur Wiese und Wald, und aus dem Grund drang sowieso kein Laut hinauf.
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