Schafkopf
kein harmloser Böller gewesen, das war ihm sofort klar. Doch was dann? Dieser zerfetzende Klang? Pal Weber wollte hier weg.
Lange noch kauerte er in der Kuhle. Dann endlich schob er die Äste beiseite und stieg aus dem Loch, lauschte, klopfte den Sand ab und holte sein Rad. Er ging nicht zu der Stelle, an der es geknallt hatte. Pal Weber hatte Angst und war vorsichtig. Erstaunlich trotzdem, dachte er sich, wie schnell sich die Augen gewöhnten. Er sah jeden Ast, jeden Stein. Kühl war es geworden und seine Kleidung ein wenig klamm. Feuchtigkeit senkte sich auch auf den Waldboden.
Eine Stunde später war er daheim. Nach unruhigem Schlaf flog er am Morgen nach Chile.
In kalter Verzweifelung schloss er sich in der Küche ein,
trank Likör und wünschte sich fort.
Markus Werner
5. Kapitel
Tau glänzte noch in den Wiesen. Die Sonne stand zwar schon ein gutes Stück über den Bäumen drüben am Waldrand, aber die Luft hatte noch diese angenehme Frische. Es würde ein heißer Tag werden heute, so hatte es der Wetterbericht gemeldet. Nachmittags vielleicht schon Gewitter … Dann aber hatte Johann Dinder das Autoradio ausgeschaltet. Immer diese aufgesetzte Fröhlichkeit dieser Dauerpartymoderatoren. Machte die Welt nur hektisch. Und falsch. Kein bisschen fröhlich. Es nervt doch nur, wenn pausenlos und penetrant überdreht dahergeredet wird. Wie konnten die Leute das mögen? Eine gute Stimmung ist doch etwas völlig anderes.
Angenehm kam die Frische von draußen durchs offene Fenster ins Fahrzeug und strich über seinen Arm. Guter alter Ford. Hatte ihn in den letzten zehn Jahren nicht ein einziges Mal im Stich gelassen. Guter Ford, aber schön sei er nicht, hatte einmal ein Gast gesagt. Hmm, da hatte er sich eigentlich nie drüber Gedanken gemacht. Spielt das denn eine Rolle? Die Leute redeten viel, wenn sie auf ihr Bier warteten. Das war schon manchmal interessant. Und manchmal dauerte es halt auch ein wenig, bis er die Bestellungen fertig hatte. Nur keine Hektik, das war sein oberstes Gebot. Aber wenn die Leute warteten, wollten sie sich unterhalten. Besser: unterhalten werden. Johann Dinder allerdings redete nicht viel. Also schwätzten eben die Leute. Mal dies, mal das, krampfhaft Witziges, nur selten Brauchbares dabei. Ein Auto musste fahren, dachte er sich, sonst nichts. Und das tat er, der gute Ford. Soll er ruhig hässlich sein. Wen kümmerte das?
Johann Dinder drosselte das Tempo, wurde noch langsamer. Ließ den Ford einfach rollen, nahm den Fuß vom Gas, den Gang raus. Er war aus dem Dorf herausgefahren, oben auf der Höhe, hatte es hinter sich gelassen, und die Straße ging leicht bergab. Der Wagen rollte hier von selbst. So war es ruhiger; und doch immer noch laut genug. Rechts standen, wie aufgereiht, Kirschbäume, alle ein wenig schief, und zwischen den krummen Stämmen hindurch ging der Blick weit hinunter ins Tal, links lagen Wiesen, fast flach, dann eine Mulde oder Senke und dahinter, wieder ansteigend, Wald, große Eichen und Buchen. Für einen Moment, im Vorbeifahren, eine Goldammer. Sommergesang. Saß wohl auf einem dieser Bäume, meistens irgendwo hoch droben, und ihr lang gezogener Gesang machte die Welt weit. Auch ein bisschen traurig, dachte er. Dieses lange Schluchzen am Ende der Strophe, oder Seufzen, ja, das war es!, legte sich über die Landschaft und gab ihr etwas Nachdenkliches, Wehmütiges. Aber eine echte Empfindung war das nicht mehr, eher eine Erinnerung daran. An früher. Und trotzdem … Ja, es war schön hier. Es erfreute ihn. Und eine echte »Strophe« war der Gesang auch nicht. Eher ein knäckernd abgehacktes Einatmen wie als Anlauf für den letzten, lang ausgeatmeten Ton, der dann so traurig klang. Also doch. Still freudige Wehmut, oder was? Ach, war das alles kompliziert. Und über was man sich alles Gedanken machen konnte! Rechts also die krummen Kirschbäume am Straßenrand, einer nach dem anderen, in fast regelmäßigen Abständen. Dahinter, den flachen Berghang weit hinab, erst Felder und Wiesen, das Korn schon hellgelb, dann unten auf der Ebene der große Wald, lang hingestreckt, dunkelgrün, fast blau, und, ein wenig im Dunst, ganz klein, die Hochhäuser der Stadt. Nein, dort unten würde er sich nicht wohlfühlen, das wusste er. Johann Dinder bremste leicht ab und bog nach links von der Straße in einen geschotterten Feldweg ein. Von rechts, vom Sportheim kommend, war vor ihm ein Wagen auf die Straße gefahren. Er hatte ihn fast nicht wahrgenommen. Was machte der denn
Weitere Kostenlose Bücher