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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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Wiesen. Er wusste, dass dieses Wünschen nichts half.
    Dann brach Johann Dinder zusammen. Sackte einfach so weg, seitlich unter den Tisch. Der Kommissar packte noch zu, konnte ihn aber nicht mehr halten. Zehn Minuten später war Johann Dinder tot.

»Fühlen Sie sich nicht wohl, Herr Doktor?«
Harry Mulisch
6. Kapitel
    Wie wird man im Nürnberger Land zu einem Fürth-Fan? Einem Anhänger der Spielvereinigung? Das geht eigentlich nicht. Außer, wenn man anders ist. Einen Geburtsfehler hat. Anders tickt. Irgendetwas muss schief gelaufen sein. Ein Knoten in der Biografie, irgendwo ein Stau, Darmverschlingung im Kopf, Embolie, die Treppe runter auf den Kopf gefallen oder sonst irgendwas.
    Wie man zum Bayern-Fan werden kann, ist erklärlich. Das kommt ja massenhaft vor – und das liegt nicht an den kleinen, weißen, glitschigen Hoeneß-Würstchen aus den Discountern, sondern einzig und allein daran: Erfolgssucht, es – oder alles – problemlos und einfach haben, nicht leiden zu wollen, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, oben schwimmen zu wollen, Fettauge zu sein. Das ist banal. Das sind ganz einfach gestrickte Menschen. Mit wenig Verwurzelung in der Region. Oder Ingenieure, Lehrer oder sonst etwas »Besseres«. Der Nürnberger aus dem Bilderbuch aber ist Arbeiter und leidet und ist deshalb Club-Fan. Er will leiden, Leiden bestimmt seinen Alltag, er kennt es gar nicht anders. Ein Tag ohne Leid und Getretenwerden geht irgendwie nicht. Wenn das nicht passiert, dann stimmt etwas nicht. Dann geht wenigstens das Auto kaputt, man rennt gegen den Türstock, oder die Frau geht fremd. Das ist normaler Alltag. Da geht es immer rauf und runter und rauf und runter, und alle 40 Jahre ist mal ein Feiertag. Dann darf man auf den Hauptmarkt und jubeln, das nächste Mal wohl so um 2050. Das muss einem genügen, und von dem hat man dann zu zehren. Erinnerungen sind eh viel wertvoller als die Gegenwart. Im Jetzt weiß man nie, was hinten herauskommt, beim Morgen erst recht nicht, das ist noch viel zu weit weg und nicht überschaubar, aber mit der Vergangenheit ist das anders. Die ist wenigstens schon vorbei und von daher gut einzusehen. Die kann man sich anschauen. Man kann drüber gucken und sich in aller Ruhe ein Bild machen. Außerdem hat sie noch einen weiteren Vorteil: Man kann sie sich schönreden. Und schöntrinken. Beides ist einfach und schön und gehört meist untrennbar zusammen. Geh her, trink'mer eins! Erinnerst du dich noch an Sergio Zarate, die Zaubermaus? Wie, als wär's erst gestern gewesen! Oder an Souleyman »Aber bitte mit Sané«? Prost Gemeinde! Ich nehm noch eins! Gar an Zvezdan Tschick-Tschack-Cebinac? Einszweidreivier-Eckstein, Grahammer, Reuter, Dorfner, Schwabl? Das war der Club, nicht die Bayern. Komm, eins geht noch! ‘s ist grad so schäi! Die Kampfmaschine Saša Ćirić? Oder Cacau? Der hat beim Club das Fußballen gelernt. Leut, ich muss heim. Allmächd, wo kommen die Haufen Strich auf mei'm Filzla her? Wirtschaft, zahln! Ich muss zu meiner Altn.
    Ja, alle paar Jahre blitzt beim Club mal was auf. Ein Licht, das auch noch strahlt, wenn es schon längst wieder aus und rundherum alles wieder stockdunkel ist. Physik der Psyche. Wenn die Bayern eingekauft haben oder die anderen mit Geld. Leverkusen, Stuttgart. Der Club ist immer klamm, der Club-Fan auch. Diese Zeiten dauern ewig, gehen nie vorbei. Ein Highlight reiht sich beim Club ans andere. Vielleicht jedes fünfte Jahr eines, also unheimlich dicht. Dann ist man wieder geblendet für die nächsten Jahre … Beinahe schwindelig machende Taktung. Schon fast zu viel für einen Franken. Wird Zeit, dass wir mal wieder absteigen, uns geht's schon wieder zu gut. ‘n bisschen bei den Fürthern spielen …
    Der Club-Fan kennt diese Welt. Keiner macht ihm da etwas vor. Aber Fürth-Fan werden in Nürnberg?
    Hans hatte das von seinem Vater. Aber er hatte auch etwas, das sein Vater nicht besessen hatte: einen unerklärlichen Gerechtigkeitssinn. Obwohl, so ein bisschen konnte man sich den schon erklären. Doch zunächst zu Hansens Vater. Schorla. Der auf den Tisch kotzt. Schorla trug schwer an seinem Leben. Eigentlich war es ihm schon längst viel zu schwer. Er konnte es nicht mehr stemmen, seine Kraft reichte nicht aus.
    Schorla war immer allein, aber wollte immer dazugehören. Nur – nichts an ihm passte zu den anderen. Das war schon in seiner Kindheit so gewesen. Wenn die anderen gespielt hatten, war er bei den Alten am Waldrand gewesen. Die hatten sich dort eine

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