Schafkopf
zwar mehr zu früh hin, die Verifizierung aber nehme noch ein paar Tage in Anspruch.
»Das bedeutet, er kann auch erst am Tag des Mordes hochgekommen sein?«, fragte Behütuns Lugio.
»Wir gehen davon aus, dassr schon hier übrnachtet hat.«
Und er berichtete von den Ergebnissen der bisherigen Nachforschungen. Was die jungen Frauen auf der Soladino ausgesagt hätte, dass da ein Wanderer hinaufgegangen sei. Sie hätten ihn auch sehr gut beschrieben, ein Phantombild werde erstellt.
Auch dass Neto, der Jagdhelfer, der oberhalb der Soladino den Sommer verbringe, ihn gesehen habe und dessen Beschreibung sowie der von ihm angegebene Zeitpunkt mit den Aussagen der Mädels übereinstimme.
»Keiner kann sich hier in den Bergen unbeobachrtet bewegen. Wegen den Chrämsen und der Jagd. Übrall liegt einer mit dem Glas und lueget. Und grad dr Neto kennt jede Chrämse fast prsönlichr.« Behütuns werde alle Ergebnisse und Unterlagen sofort bekommen, sobald sie fertig seien.
Allerdings – der Todeszeitpunkt war der Mittwoch, ob nun früh oder nachmittags, das war egal. Den Wanderer aber hatten die Mädels und Neto ganz eindeutig am Dienstag gesehen. Von Dienstag auf Mittwoch jedoch hatte Schrader, schenkte man seinen Aufzeichnungen Glauben, hier oben keinen Gast gehabt.
Alles wurde so schön langsam hier oben.
Behütuns hatte noch einmal in der Kammer des Hüttenwartes gestöbert. Im Rucksack hatte er ein kleines rotes Notizbuch gefunden, A6, beinahe voll, mit handschriftlichen Aufzeichnungen, allerdings kaum lesbar. Unmögliche Schrift. Ob es aktuell war oder alt, konnte er nicht beurteilen. Er fand keine Datumsangaben. Er würde es in Absprache mit Alberto Lugio mitnehmen und zu Hause prüfen lassen. Außerdem hatte er in den Körben für die Privatsachen der Hüttengäste ein dickes Bündel Blätter gefunden – scheinbar ein Manuskript, mit handschriftlichen Korrekturen. Über 200 Seiten gedruckter Text, überschrieben mit »Raus jetzt!« Die an die Ränder und in die Texte eingefügten Korrekturen wiesen auf die gleiche Klaue hin wie die des Notizbuches. Zumindest mutmaßte Behütuns das, er war ja kein Grafologe. Er würde auch dieses mitnehmen und prüfen lassen. Zudem gehörte es zu den persönlichen Dingen und stand den Angehörigen zu. Lugio hatte nichts dagegen. Jetzt saßen sie bei einem weiteren Glas Roten an den Steintischen vor der Hütte und warteten auf den Hubschrauber. Behütuns würde alleine hinunterfliegen, Lugio wollte zu Fuß hinabsteigen, Enrico blieb mit den Beamten hier oben. Übermorgen würde die Hütte wieder geöffnet. Ob sie je wieder so werden könnte, wie sie einmal war?
Zwei Stunden später stürzte sich der Heli mit Kommissar Behütuns hinunter ins Tal. Da lag die Hütte schon im Schatten, die Sonne war hinter die Berge gekrochen.
Der frühreife Mond schob,
rachitisch krumm, übern Bahndamm.
Arno Schmidt
16. Kapitel
Natürlich war ihm kein Flug genehmigt worden. Kollegen der schweizerischen Polizei hatten ihn zum Bahnhof in Locarno gefahren und tschüss. Der nächste Zug ging erst um kurz nach neun, und er würde am nächsten Tag um halb acht in Nürnberg sein. Doch schon so früh. Beinahe pünktlich zu Dienstbeginn. Herrliche Aussichten.
Seine Telefonate würde er erst vom Zug aus führen, die Zeit bis zur Abfahrt wollte er sich noch Locarno ansehen. Wenigstens ein paar Eindrücke gewinnen, wenn er doch schon einmal hier war. So aß er im Ristorante Villino Chalet gleich neben dem Bahnhof eine Pizza und trank ein Bier. Nein, zwei. Dann mischte er sich unter die zahlreichen Alten, die draußen am See flanierten. Das hatte schon etwas Seniles, dachte er sich und sah auf das ruhige Wasser. Still lag die riesige Fläche da und spiegelte den Himmel. Das wiederum hatte Charme. Ja doch, er konnte es sich jetzt vorstellen, hier einmal Urlaub zu machen. Aber auch oben auf der Hütte, vielleicht auch einmal als Wirt? Aber Behütuns konnte nur Nudeln machen, Spiegeleier braten und Brote schmieren, ansonsten Bratwürste oder Schnitzel bestellen, mit Bier dazu. Bei dem Gedanken an ein schönes dunkles Hetzelsdorfer, Hohenschwärzer oder Aufsesser bekam er schon fast ein wenig Heimweh. Ein Franke fährt nicht gerne fort. Wie hatte es der alte Wirt im Hersbrucker Land (auch dieses Gasthaus wird hier nicht verraten) einmal im Mai gesagt, als die Sonne wärmte und das Licht so frohtraurig durch das frische Grün der Bäume sickerte? Der alte Wirt, dessen Frau im Jahr zuvor gestorben war und der an
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