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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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zählt. Ein Rotkehlchen saß gegenüber auf dem Verkehrsschild, knäckerte ihn wie empört an und wippte dabei mit dem Schwanz. Drüben landete ein Flugzeug, das dritte schon seitdem er hier stand. Wie kann man hier nur wohnen, bei diesem ständigen Fluglärm? Und die fliegen ja bis spät in die späte Nacht hinein. Egal, noch einmal von vorn. Vor dem Abendhimmel tanzten die ersten Fledermäuse. Also: Das erste Opfer stirbt in der Nacht. Hat am Abend etwas zu sich genommen, wahrscheinlich gegen Ende der Bierkelleröffnungszeit. Der hat am fraglichen Abend so um halb neun zugemacht, haben die Ermittlungen ergeben. Sagen wir neun, dann sind auch die Letzten weg, denn am Waldrand dort wird es kühl. Also neun. Dann ist das Opfer um halb zehn oder zehn weg. Bewusstlos. Je nachdem, wann es das Mittel geschluckt hat. Dann musst du es runterschleppen zum Keller, irgendwie ablegen, immer wieder lauschen, den Keller aufbrechen, den Betäubten reinschleppen, alles so weit richten, auf die Mine legen und fort. Lass es da zehn sein oder halb elf. Dann musst du zwei, drei Stunden warten, denn das mit dem Trikot will ja noch getan sein. Eklig. Also wird es zwei, halb drei, drei. Wenn du dann losfährst, bist du um acht oder neun in der Schweiz, spätestens, da ganz im Süden, in Locarno. Wenn du die Nerven dazu hast. Normalerweise aber musst du nachts erst noch mal heimfahren. Bist also gegen zwei oder drei daheim. Klamotten wechseln, Zeug packen für die Berge, also kommst du vor halb vier nicht los. Ob du dann fahren kannst nach all der Aufregung? Muss wohl gehen. Vielleicht ist der Täter ja gar nicht aufgeregt, vielleicht eher befriedigt, vielleicht angenehm angespannt oder von Wut getrieben, von Rachegefühlen und Vergeltung. Ich kenne ja seine Motive nicht – aber das alles gäbe ihm Kraft. Also halb vier los. Dann bist du auch um zehn Uhr unten und hast einen ganzen Tag. Oder du fährst tagsüber, dann kommst du abends an und musst irgendwo übernachten. Kannst erst am Dienstag auf den Berg. Dienstag aber musst du oben sein, sonst kannst du Mittwoch früh niemanden umbringen.
    »Kommissar Lugio, Locarno. Wer ist dran?«
    »Behütuns hier, Nürnberg. Sorry, dass ich so spät anrufe. Ich hab nur schnell eine Frage.«
    »Grüezi Friedo! Kommtr voran?«
    »Wir? Na ja. Wir sind auf euch angewiesen, Alberto. Deshalb rufe ich an. Alberto, nur ganz kurz: Was habt ihr herausgekriegt? Ist auf dem Weg hinauf an den Tagen zuvor jemand beobachtet worden?«
    Zwei Minuten später wusste Behütuns Bescheid. Der Bericht würde übermorgen kommen, das wichtigste aber wusste er jetzt schon: Der Letzte auf dem Weg zur Alzasca wurde am Montag gesehen. Am späten Vormittag. Von zwei Frauen auf der Soladino und einem Jäger weiter oberhalb. Gehe ich davon aus, dass das unser Mann war, überlegte Behütuns, dann ist er nachts noch losgefahren. Bis zwei hier fertig am Keller, heim, um drei los. Oder um halb vier. Egal. Mit dem Auto ins Tessin, vielleicht um neun Uhr dort. Um zwei auf der Hütte, vielleicht um drei. Im Hüttenbuch stand nichts von einer Übernachtung, also ist er, wenn er zur Hütte hinauf ist, dann weitergegangen. Wohin? Oder ist er gar nicht zur Hütte am Montag, sondern erst woandershin? Auch hier die Frage: Wohin?
    Noch einmal rief er Kommissar Lugio an. Ja, sagte der, da gäbe es noch eine Möglichkeit. Ribia. Eine unbewirtschaftete Hütte, wenige Stunden entfernt. Behütuns sah zwei Möglichkeiten des Täters: Am Montag direkt dorthin und am Dienstag auf die Alzasca oder am Montag über die Alzasca hin zur Ribia und am Dienstag dann zurück. Sie würden, gab Lugio durch, morgen zur Ribia fliegen, nach Hinweisen suchen, nach Spuren.
    Behütuns stieg aus seinem Wagen und ging einen Feldweg entlang. Schon wieder donnerte eine Maschine herab, hinten sah man schon die Lichter der nächsten im Landeanflug. Und noch weiter hinten vor dem Abendhimmel eine dritte. Wie Perlen an einer Schnur, mit drei Minuten Abstand. Im Osten war der Himmel schon dunkel, nicht schwarz, eher tiefblau, der ganze Westen aber war noch hell. Gelb, blau, rot, violett über den ganzen Horizont. Das Knoblauchsland war flach, das machte die Landschaft weit, vor allem nach Westen hin. Mit dem Fuß kickte er einen Stein vom Weg. »Die sich mit ›Dr.‹ vorstellen, haben es wohl nötig«, hatte in den Aufzeichnungen Schraders gestanden. Und später dann: »Wie schnell jemand im Nebel verschwindet. Auch mit seinem Geräusch.« Das könnte ein Gast gewesen sein,

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