Schafkopf
vielleicht der letzte Besucher. Vielleicht unser Mann? Doch das war nicht, was er jetzt klären wollte. Zunächst ging es nur um den Zeitplan. Was auch immer zwischen Montag und Mittwoch passiert war, holte sich Behütuns zu seinen Ausgangsgedanken zurück und duckte sich instinktiv, als der nächste Jet inzwischen direkt über ihn hinwegdonnerte, um drüben, jenseits des Zaunes, zwischen den Lichtern der Landebahn aufzusetzen – Mittwoch früh kann der Täter erst absteigen, denn nachts ist der Weg nicht zu machen. Wenn er Mittwoch früh losgeht, ist er am Mittag unten. Also gegen 19 oder 20 Uhr wieder hier. Da kann er locker den Nächsten umbringen. Was er in der Nacht zum Donnerstag dann auch tat.
Behütuns war wieder zurück am Auto. So könnte er gewesen sein, der Zeitplan von Sonntag bis Donnerstag. Und daraus konnte man schon eine ganze Menge ablesen: Der Mann ist sportlich, denn das Programm ist tough. Das Programm ist geplant, und zwar im Detail. Alles greift gut ineinander, ist bestens verzahnt. Und weil es so gut geplant ist, hat der Mann – und dass es ein Mann sein muss, daran hatte Behütuns überhaupt keinen Zweifel mehr – ein Motiv. Und Motiv bedeutet: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Opfern. Aber den sehen wir noch nicht. Nichts, aber auch gar nichts zu erkennen. Es gibt zwar bei jedem Opfer Verdachtsmomente, nein: Momente, an denen man einen Verdacht anknüpfen könnte, es gibt aber nicht dieses eine, vereinheitlichende Moment. Die kannten sich ja nicht einmal untereinander, hatten, soweit das zu beurteilen war, nichts miteinander zu tun. Zumindest hatten die Ermittlungen bisher noch nichts in diese Richtung ergeben. Das aber müssen wir finden, davon war Behütuns überzeugt. Und was die anderen Verdachtsmomente betraf, da kannst du dir jeden anschauen, und du findest überall etwas. Die heile, gute Welt ist nur Fassade, dahinter stinkt's. Bei jedem.
Und noch etwas jagte Behütuns durch den Kopf: Wer oder was sagt uns denn, dass das, was der Täter vorhat, vollbracht ist? Immerhin, seit Donnerstag waren schon zwei Tage vergangen, heute war Samstag. Aber das sagte nichts.
Er konnte jetzt nicht nach Hause und schlafen gehen.
Behütuns sah auf die Uhr. Kurz vor neun. Er wählte die Nummer des Psychologen. Samstagabend, aber das war ihm jetzt egal.
Er sei schon beim dritten Schnappbier, könne unmöglich mehr fahren, sagte der. Behütuns sah ihn förmlich auf seiner Terrasse sitzen. Aber sie könnten sich bei ihm treffen, im Biergarten, bei ihm ganz in der Nähe. Zum Schloss, genannt Schlössla, in Tennenlohe, ob er das kenne?
Behütuns fuhr los. Tennenlohe war nicht weit weg, er stand quasi schon vor der Haustüre.
Dr. Hartung hörte sich alles an. Er trank fast schneller als Behütuns, der auch schon beim zweiten Bier war. Sie saßen auf Bierbänken auf dem Wiesengeviert hinter dem Schloss, einem alten, schweren Sandsteinhaus mit einem Schweinestall daneben. Eigentlich war das Schlössla ein Bauernhof. Der Wirt machte die Landwirtschaft, die Tiere, war Metzger und Wirt. Was die Leute so alles schaffen, gleichzeitig. Und trotzdem wirkte er fröhlich. Seine alte Mutter humpelte ans Küchenfenster zum Biergarten und stellte zwei Teller aufs Fensterbrett. Eine Holzkiste diente außen als Stufe zum Sims. »Di Brohdwäaschd!«, rief sie zum Hof hinaus und verschwand wieder nach innen. Ob das jemand gehört hatte, ging sie nichts an. Der Ventilator der Küchenlüftung rauschte, die Alulamellen klapperten leise, sonst war es ruhig im Garten. Hinten stand eine Schaukel, aber Kinder waren keine da. Sie quietschte auch nicht im Wind, denn es war windstill. Drüben saßen drei Alte und starrten ins Bier. Als ob es da etwas zu erkennen gäbe. Sonst war nichts los. Nur die Fliegen summten. Kein Wunder, beim Stall nebenan. Behütuns' Unterarme pappten am Biertisch. Der klebte ein wenig, wahrscheinlich von den Läusen im Laub. Die Plätze befanden sich unter einem Laubbaum. Behütuns kannte sich damit nicht aus. Ob er den Psychologen fragen sollte? Ach was. Inzwischen war es fast dunkel, zumindest hier unterm Baum. Irgendjemand schaltete von drinnen die Beleuchtung an, eine Glühbirnenkette über den Tischen, am Hauseck ein brennheller Strahler. Sah aus wie eine Baustellenbeleuchtung aus dem Baumarkt, Halogen. Er hing nur an einem Nagel, die Leitung lose und schräg vor der Wand, die Steckerverbindung umklebt. Binnen Sekunden tanzten die ersten Falter. Behütuns holte die Teller.
Dr. Hartung hatte
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