Schafkopf
sich dann um die Kinder, um den Hund? Nein, so verlockend diese Vorstellung auch war – eine Frau hatte neben einem Kommissar keinen Platz. Undenkbar, zumindest auf Dauer. Vielleicht sollte sich Behütuns an Frau Klaus halten? Wäre das vielleicht eine Lösung? Eine pflegeleichtere? Das war jetzt wieder sein destruktiver Humor. Diese Vorstellung wollte er für sich nicht einmal annähernd konkretisieren. Nee, daran war nicht wirklich zu denken. Nicht für ihn. Behütuns machte das Licht aus und verließ das Büro. Schöne, langsame Mittsommerdämmerung draußen. Es wurde einfach nicht dunkel. Jetzt heimfahren? Das war keine Lösung. Was sollte er da? Die Wohnung war leer, der Kühlschrank auch, das Bett nicht gemacht, die Wäsche nicht gewaschen. Wahrscheinlich nicht einmal gelüftet. Also wohin?
Ziellos steuerte Behütuns sein Auto aus der Stadt. An der Burg vorbei, an der U-Bahn-Baustelle am Friedrich-Ebert-Platz, am Schöller vorbei in Richtung Norden. Kaufland, Metro, der ganze Müll. Dieses Knoblauchsland war ein einziges Geschwulst. Eigentlich schön flach, viel Acker- und Salatland, und auch der Name war schön. Manchmal, wenn man hier durchfuhr, roch es so richtig schön frisch nach Zwiebeln! Aber das waren nur kurze Momente. Augenblicke, in denen die Illusion das Sehfeld besiegte. In denen der Geruchssinn stärker war als das Auge. Im Grunde aber war das Knoblauchsland so: Überall stand etwas herum wie hingeschmissen. Wie »hingeschissen«, ging es ihm durch den Kopf. Genau so war es. Hingerülpst, hingekotzt, alles nur Brocken, »Bröggerla«, nichts hatte einen Zusammenhang, alles stand nur herum. Verstreut. Betriebe, Hallen, Fabriken, Werke, Gärtnereien, Kaufmärkte, Tankstellen, ein Wohnhaus und wieder von vorn: Fabriken, Hallen …
Ein Bus überholte Behütuns. Was ist das für ein Typ, der so etwas macht? Kann das einer überhaupt allein schaffen? Behütuns drapierte sich im Kopf einen Zeitplan. Rollte ihn aus. Er musste die Dinge plastisch haben. Sichtbar, visuell. Also. Sonntagabend oder irgendwann nachts auf dem Keller der Mord. Er musste die Dinge einmal trennen. Erst die Fakten, dann das ganze Drumherum. Mittwoch früh irgendwann, das hatten die Untersuchungen aus der Schweiz ergeben, war der Mord auf der Hütte passiert. Der Täter, er ging jetzt einmal von einem aus, war also frühestens Sonntagnacht oder am Montag in die Schweiz gefahren. Sechseinhalb oder sieben Stunden Fahrt. Dann ist er nachmittags da. Zu spät, um noch auf die Hütte zu kommen. Vielleicht aber auch nicht. Am Mittwoch früh war der Mord. Hatten die in der Schweiz eigentlich mal entlang des Weges gefragt? Besser: entlang der Wege hinauf zur Hütte? Da gab es ja etliche, von allen Seiten. Denn woher auch immer einer kam auf seinem Weg hinauf – irgendwo musste er doch vorbei kommen. Und vielleicht auch gesehen werden. Da waren doch sicher ein paar Ansiedlungen oder Hütten irgendwo. Er würde gleich morgen mit dem Schweizer telefonieren. Wie hieß der noch gleich? Ja: Lugio. Alberto Lugio, odr?
Hinter ihm hupte ein Auto, blendete auf. Kein Wunder: Die Ampel war grün, aber Behütuns stand. Wie lange schon? Schande. Er gab Gas. Bei der Abzweigung nach Kraftshof bog er rechts ab und stellte sich dort auf einen Ackerstreifen. Er konnte jetzt so nicht Auto fahren, er war ja gar nicht da. Nicht anwesend. Behütuns musste jetzt erst einmal nachdenken.
Mittwoch früh der Mord auf der Alzasca, Donnerstag früh der Mord am See. Das geht. Abstieg von der Hütte, gegen Mittag aus der Schweiz los, dann bist du abends hier und kannst dich um den Nächsten kümmern.
Was hatten die Mediziner gesagt? Wie lange wirkte der Cocktail? Drei bis vier Stunden, vielleicht auch nur zwei oder weniger, je nach Menge und Statur der Person. Dann wurde das Opfer wach oder regte sich zum ersten Mal. Und wie lange dauerte es, bis der Cocktail wirkte? Auch wieder unterschiedlich. Circa eine Stunde nach der Einnahme war die Wirkung voll eingetreten, vielleicht ging das aber auch schneller. Hängt auch wieder von der Menge ab und der Person. Alles so vage, alles so ungewiss.
Behütuns hatte das Seitenfenster heruntergekurbelt. Es war noch immer nicht dunkel draußen, die Sonne aber war schon längst hinter dem Horizont verschwunden. »Untergegangen«, dachte Behütuns, was für eine falsche Redensart. Die Erde dreht sich weg – das aber war Wissen, das andere Beobachtung. Das Sehen, die Erfahrung. Und in der Erfahrung geht die Sonne unter, nur das
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