Schafkopf

lange geschwiegen.
    »Ich spreche jetzt mal ganz aus dem Bauch heraus«, sagte er dann zwischen zwei Bissen Bratwurst, »einfach was mir so in den Sinn kommt. Also ganz ununterfüttert. Und ob das dann wirklich hilfreich ist, kann ich nicht sagen.«
    Behütuns schwieg, hörte zu und aß. Zwischendurch holte er noch einmal Bier.
    »Also erst einmal sortieren. Wir haben drei Leichen. Diese hatten, zumindest nach dem bisherigen Erkenntnisstand, nichts miteinander zu tun. Die Verbindung kennt nur der Mörder. Aber wir haben Gemeinsamkeiten: die Todesart und die Trikots. Die Todesarten weisen wiederum Gemeinsamkeiten auf: die Art der Betäubung und die Art der Hinrichtung. Die Art der Betäubung, so vermute ich, benötigt gewisse medizinische Vorkenntnisse. So einen Mix muss man erst einmal basteln, dass er auch zuverlässig auf die gewünschte Art wirkt. Also so, dass die Personen relativ schnell außer Gefecht gesetzt sind und dass sie aber auch sicher nach einer gewissen Zeit wieder aufwachen. Außerdem waren da, wie Sie sagten, Barbiturate drin. Die bekommt man nur gegen Rezept. Oder man kommt qua Profession daran. Es gibt also Hinweise, dass der Mörder aus dem medizinischen Bereich stammt. Ein Arzt, ein Pfleger, ein Sanitäter, was auch immer.
    Für einen Arzt, würde ich sagen, spricht, dass die ganze Planung relativ hohe Intelligenz erfordert. Das läuft ja alles wie minutiös ab. Dann ist es auch kein alter Mensch, denn er muss ja einigermaßen fit sein. Auch mal mit wenig Schlaf auskommen, schwere Körper schleppen, zwischendurch einfach so auf einen Berg steigen, also immerhin fast vierzehnhundert Höhenmeter bewältigen – da gehört schon etwas dazu. Also ich sag mal: eine Person mittleren Alters, zwischen 20, 25 und 40, 45, fit, intelligent, medizinisch bewandert. Das grenzt ja schon einmal ein.
    Viel schwieriger aber sind die Zeichen. Das Trikot ist eines. Das weist eindeutig in Richtung Fußball, eigentlich in Richtung Club. Damit aber kann ich gar nichts anfangen, da kenn ich mich nicht aus. Auch der Name auf dem Trikot, oder dass nur das erste einen Namen trug – das müssen Sie deuten. Oder vielleicht die Rückennummern? Waren denn auf den anderen Trikots Nummern?«
    Behütuns schüttelte den Kopf.
    »Es wäre schon interessant, dahinter zu kommen, woran das liegt. Vielleicht findet sich ja hier eine Erklärung. Im Grunde aber glaube ich, dass das erst zweitrangige Zeichen sind. Das wichtigste ist für mich das: die Todesart selbst. Um einen Menschen wegzusprengen, ja regelrecht hinzurichten, bedarf es schon einer besonderen Energie. Und diese Energie resultiert nicht aus einer situativen, jungen oder aktuellen Wut und dem damit einhergehenden Vergeltungsdrang. Denn um Vergeltung geht es. Und zwar um eine ganz private, denn wir haben sonst keine Botschaften. Der Täter befriedigt sich selbst, er fährt seinen ganz persönlichen, ganz privaten Rachefeldzug. Und, das würde ich jetzt einmal so in den Raum stellen, er will damit bei sich Wunden heilen. Die Art des Mordens und die Art der Wunde sehe ich in einer gewissen Korrespondenz.«
    Hartung schwieg und nahm einen tiefen, langen Schluck. Sein Krug war schon wieder leer.
    Behütuns wartete ab, sah ihn fragend an.
    Hartung schwieg weiter.
    »Scheiße! … oh sorry, ist mir so rausgerutscht«, entschuldigte sich Behütuns. »Aber sehen Sie!«, und er hielt Hartung seinen Bierkrug hin. Ein fetter Falter strampelte auf der schaumlosen Oberfläche, die übersät war mit staubigen Teilchen der Falterflügel. Er schüttete das Getränk in die Wiese.
    »Auch noch eins?« Nahm beide Krüge und stellte sie auf den Fenstersims. Da würde sie der Wirt schon entdecken. In der Tiefe der Küche klapperte Geschirr.
    »Wenn jemand so mordet, ja so zerfetzt«, überlegte der Psychologe weiter, »dann drückt er ein Pendant dazu in sich selbst aus. Also zu etwas, das auch ihn so zerfetzt hat. Das weiß er wahrscheinlich selber gar nicht, es ist ihm nur ein Bedürfnis. Denn wenn er es wüsste, es ihm also bewusst wäre, würde er es, bei seiner Intelligenz, reflektieren und nicht mehr in die Tat umsetzen. Meine Meinung. Wunden solcher Tiefe entstehen erfahrungsgemäß nur in der Kindheit, werden da geschlagen. Vernarben, brechen immer wieder auf, sind ständig präsent, meistens in Form irgendwelcher Störungen. Emotionaler. Die sich dann möglicherweise zeigen in Kontaktarmut oder -unfähigkeit, Beziehungsschwächen, Gefühllosigkeit, was weiß ich. Nach außen, also im