Schafkopf
Alltag, gegenüber anderen, muss sich das gar nicht so zeigen. Irgendwelche Macken haben wir ja alle, Macken sind völlig normal. Aber nach innen, im Eigenleben, blutet und schmerzt die Wunde täglich. Da tiefer einzudringen, ist ein weites Feld. Aber da wird es jetzt interessant: Haben Sie schon einmal in der Kindheit der Opfer nachgeforscht? In deren Vergangenheit? Vor 20, vielleicht 30 Jahren? Vielleicht ergibt sich hier ja eine Verbindung, die uns dem Täter näherbringt?«
Wieder machte er eine kurze Pause. Behütuns nutzte sie und holte das Bier. Es stand am Fenstersims bereit. Diesmal brachte er auch zwei Bierfilze mit und deckte damit die Krüge ab. Denn ein Bier ist ein Getränk und kein Falterbad!
»All die anderen Zeichen sehe ich als nachgelagert. Natürlich sagt uns das Trikot auch etwas, und das auch mit voller Absicht. Diese Sprache aber versteht im Moment nur der Täter selbst. Da muss er noch mehr zu uns reden.«
Behütuns hakte ein: »Also noch weiter morden?«
»Ja.«
Das kam trocken und hart.
»Die Sprache der Trikots, die erst auf der zweiten Ebene stattfindet, ist sehr viel schwieriger zu verstehen als die der Taten selbst. Denn sie baut auf der ersten auf. Haben wir diese verstanden, haben wir alles verstanden. Dann ist alles ganz einfach und wird uns auch als einfach erscheinen. Als völlig offensichtlich, logisch, konsequent. Noch aber verstehen wir die Grundsprache nicht.«
»Und die Minen?«
»Die sehe ich eher als Werkzeug, denn als Zeichen an. In ihrer Wirkung aber schon, also in ihrer Grausamkeit. Diese Grausamkeit spricht für mich die erste Sprache. Genugtuung für eine tiefe Verletzung. Die Minen mögen Zufall sein, vielleicht auch Ansatz für eine Spur. Aber sie haben keine Bedeutung, ich meine über ihre Sprengkraft hinaus, Sie verstehen? Also kriegen Sie hier etwas raus: Hatten die drei Opfer als Kinder etwas miteinander zu tun? Ich denke, nur so kommen Sie weiter.«
Die drei Alten saßen noch immer da, drüben im Eck des Biergartens. Hatten sie sich überhaupt schon bewegt? Behütuns hatte nicht aufgepasst. Jetzt sah er hinüber. Ja doch, sie atmeten. Jetzt schnaufte sogar einer aus. Die ganze Last des Lebens. Ja, diese Alten hatten das Leben verstanden. Sitzen, tagträumen, den Alkoholpegel halten. Die Arme auf dem Tisch, die Körper vornübergebeugt, zwischen den Fingern eine Zigarette, in Reichweite das Bier. Was willst du mehr?
Dr. Hartung und Kommissar Behütuns gingen. Die Alten saßen noch da. Als sie um das Wirtshaus bogen und vorne die Straße erreichten, ging der Eckstrahler aus. Nur noch die Glühbirnen brannten. Behütuns kramte seinen Autoschlüssel hervor, gemeinsam gingen sie zu seinem Wagen.
»Muss ich jetzt die Polizei benachrichtigen, wenn Sie sich ans Steuer setzen?«, fragte Hartung.
Behütuns zuckte mit den Schultern.
»Aber das hab ich ja gerade«, lachte er. »Alsdann, fröhliche Heimfahrt. Und gute Ermittlungen. Informieren Sie mich, wenn Sie was Neues haben. Das interessiert mich.«
Vier Bier, und Behütuns fuhr trotzdem. Ein Viertel hatte er ja weggeschüttet, wegen des Falters.
Am Morgen summte eine fette Stubenfliege
innen an meinem Fenster rum ...
Sachte sprühte ich die Fliege ein,
bis sie sich nicht mehr bewegte.
Dann hob ich sie vorsichtig hoch, öffnete
das Fenster, legte sie raus aufs Brett
Andrew Vachss
19. Kapitel
Die Wirklichkeit kam den Gedanken zuvor. Und die Fakten den Ermittlungen. Beginnen wir mit den Fakten.
Sonntag ist der Tag des Eies. Man schläft lang, einmal so richtig aus, räkelt sich noch ein wenig und grunzt, draußen läuten schon die Kirchenglocken, entweder um halb zehn zum Kirchenbeginn oder gegen viertel, halb elf zum Vaterunser. Dir ist das egal. Kirchen schaust du dir nur im Urlaub an, in Frankreich oder in Italien, warum weißt du selber nicht genau. Du schleppst dich in die Küche, kochst dir ein Ei, machst ein paar Toasts und ziehst dich dann mit deinem Frühstücksteller, einem fetten Kaffee, der Sonntagszeitung, einem Buch oder, wenn du sonst nichts hast, einem Sudoku zurück ins Bett, um klebrige Eidotterflecken oder jene Brösel zu produzieren, die dich dann die ganze Woche über im Bett zwicken und piesacken. Nicht selten hast du sowieso einen dicken Kopf vom Samstag, da ist es gut, es etwas langsamer angehen zu lassen. Aaaalleees gaaaanz schöööön laaaaangsaaaaam …
Behütuns war gerade in der Normandie in einer Werft, und die Werftsirene brüllte. Dann war die Werft in Nürnberg, und ein
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