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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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Kran kreischte. Nein, das war überhaupt keine Werft und auch kein Kran, das war ein Güterzug am Hafen, der ohne Lok einen Abhang hinunterdonnerte und immer wieder so ein komisches Geräusch machte. Ein Güterzug? Ja, mit einem Blasorchester darauf, rumänisches Blechblasorchester, das immer näher kam. Ganz deutlich sah er schon deren diabolische Fratzen. Wie konnten die nur so laut und schrill und schräg blasen bei ihrem breiten Grinsen? Dann war das Bild weg – das schrille Geblase aber noch da.
    »Scheiße!« Behütuns tastete nach seinem Handy. Kurz vor dem Tod soll das ja ähnlich sein: man rekapituliert noch einmal im Schnelldurchlauf sein ganzes Leben. Behütuns rekapitulierte nur langsam, mühsam durch eine zähe Masse. Komisch trotzdem, wie die Gedanken früh immer wieder zu dem gleichen Punkt zurückfinden, an dem man selber ist, und dass da nichts vertauscht wird. Dass die sich nicht verirren oder so. Vor allem, wenn es noch dunkel ist. Und sonntags wird es vor neun nie hell, da ist es immer dunkel, auch wenn die Sonne noch so hell ins Zimmer blendet.
    »Behütuns?« Er konnte gar nichts sehen, so hell war es. Es stach regelrecht im Kopf.
    Die Bayreuther Polizei, ob er Hetzles kenne?
    Er tastete nach seinem Stift, notierte sich eine Adresse. Sie ging vom Hörer direkt aufs Papier, erst gar nicht in einen Zwischenspeicher, der war noch nicht an. Noch nicht hochgefahren. Überhaupt schien das gesamte Gehirn noch absolut im Tilt-Modus und nahm den Befehl »Neustart« nicht an.
    Erst langsam kam es in die Gänge, trotzdem hatte es schon eine ganze Reihe Automatismen aktiviert. Überlebensmodus wohl. Oder steuerten sich die Muskeln selbst? Immerhin bemerkte sich Behütuns irgendwann, dass er schon halb bekleidet war und nach einem frischen Hemd suchte, als die ersten Sauerstoffmoleküle durchs weiße Gallert drangen. Wo hatten die nur den Sauerstoff her? Behütuns öffnete das Fenster. Abgestandene Luft quoll hinaus, vermischte sich mit Stadtluft.
    Zwei Minuten später saß Kommissar Behütuns im Auto und programmierte das Navigationsgerät. Seit es diese Dinger gibt, findest du überallhin, aber weißt nie, wo du bist, dachte er sich. Früher hast du auf die Karte geschaut und eine Ahnung von der Topografie gehabt, heute schaust du aufs Navi und fährst wie blind. Blöd eigentlich – aber saubequem. Lieber ankommen und nicht wissen wie, als andersherum. Aber Moment mal, meldete sich Behütuns' selbstständig arbeitende Leitzentrale, während er die notierte Anschrift programmierte, früher ist man doch auch angekommen, oder nicht? Also haben wir etwas verloren mit den Navigationsgeräten. Nämlich die Orientierung. Und außerdem weiß Big Brother immer, wo du bist. Auch wieder komisch, diskutierte man in der Leitzentrale intern. Da fährst du hier unten herum und weißt nicht, wo du bist, und gleichzeitig hinterlässt du Spuren im All. Beziehungsweise via All auf irgendeinem Server. Weiß eigentlich irgendjemand genau, was das ist, ein Server, und wie der funktioniert? Nein, oder? Da gehen Daten rein und raus, da bleiben Daten drin – das weiß man und gibt sich damit zufrieden. Funktioniert ja auch alles. Aber Daten? Kann man die sehen? Anfassen? Begreifen? Be-grei-fen? »Information« sagt man immer, als ob man die nicht begreifen müsse. Oder Wissen. Aber Wissen, das ich nicht begreife – ist das denn etwas wert, also für mich?
    Resignierende Rückmeldung von der Leitzentrale: Ich begreif gar nichts mehr …
    Untrügliches Zeichen: Jetzt war er wach, denn er dachte wieder. Da oben wurden Botschaften hin- und hergeschickt. Fragen und Antworten wurden jedoch nicht gegeben, sie gab es nicht oder nur ganz wenig, und die Erkenntnis wuchs, dass Fragen keinen Sinn haben, weil sie nicht Antworten, sondern nur neue Fragen produzierten. Antworten sind reine Illusion, wurde oben gerade an die Fragenadresse verschickt, und von der kam als Antwort zurück: Dann braucht's ja auch keine Fragen mehr. Das wäre aber schade, schickte man zurück. Und langweilig, wurde die Bemerkung von irgendwoher kommentiert. Und dazu wiederum unkte es aus irgendeiner Ecke: Langeweile ist gut! Denn je langweiliger das Leben ist, desto länger dauert es.
    Geht doch, dachte sich Friedo Behütuns, da oben ist sogar am Sonntagmorgen etwas los, auch wenn man einmal nicht ausschläft. Und das hat auch einen Vorteil: Ich hab keine Brösel im Bett in der kommenden Woche. Die alten hab ich schon längst durchgerieben.
    Bei ihm lief jetzt

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