Schafkopf
das Gerede von der Freundin mehr dem Wunsch seiner Kollegen, dass Lutz endlich wieder eine abkriegen möge.
Vera Kampleitner sei bei Mikes Ankunft bereits dagewesen, und Tina sei auch recht bald gekommen. Wer noch fehlte, war der Gerichtsmediziner aus München. Aber der stehe in dem Fünfzehnkilometerstau vor Gmund, den die Münchner Tagesausflügler an jedem Sonntag im Herbst veranstalteten. Das Gleiche gelte für die Staatsanwältin.
Zwölf Minuten nachdem sie losgegangen waren, kamen die beiden Männer auf dem Gipfel an. An der Kapelle erwartete sie Lutz. Als Wallner sein Gesicht erblickte, fuhr ihm ein Schreck durch die Glieder. Lutz sah aus wie ein Gespenst.
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4 . Kapitel
A lles okay?«, fragte Wallner.
Lutz nickte. »Schon in Ordnung. Der Anblick ist net so schön.« Lutz führte Mike und Wallner auf die Rückseite der Kapelle, die nach Westen zum Tegernsee zeigte und mit Holzschindeln verkleidet war. Die Schindeln hatte man ursprünglich weiß gestrichen. Inzwischen war der größte Teil des Anstrichs vom Regen weggewaschen worden. Darunter kam silbergraues Lärchenholz zum Vorschein. Der Blutfleck, der durchs Fernglas noch recht überschaubar ausgesehen hatte, war beängstigend groß, wenn man direkt davor stand. Auf dem Boden lag immer noch die Leiche, an der im Augenblick Tina arbeitete. Sie grüßte Wallner und Mike mit knapper Geste und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Lutz zeigte seinen Kollegen mehrere durchsichtige Plastiktüten, in die er blutverschmierte Teile aus Haut, Knochen und blonden Haaren gesteckt hatte.
»Das sind die Teile vom Kopf, die wir bis jetzt gefunden haben.« Wallner blickte unwillkürlich zur Leiche, deren Hals mit ein paar blutigen Ausläufern im Nichts endete.
»Was habt ihr noch gefunden?«
»Die Kugel.« Lutz holte eine Tüte mit einer deformierten Gewehrkugel von der Holzbank an der Kirchenwand.
»Ist nur einmal geschossen worden?«
»Das hat der Kreuthner gesagt. Der war noch da, wie ich gekommen bin«, sagte Lutz.
Mike nahm Lutz den Beutel mit der Kugel aus der Hand. »Kannst du sagen, was das für ein Kaliber ist?«
»Nur mit dem Projektil natürlich nicht. Aber die haben unten eine Patronenhülse gefunden. 7 , 62 mal 54 , Randhülse.«
»Das kann keine Jagdpatrone sein?« Wallner hielt sich am Geländer fest.
»He, wach auf, Alter!« Mike schlug Wallner auf den Rücken. »Vierundfünfzig, nicht einundfünfzig. Rand-hül-se!« Er wandte sich an Lutz. »Kalaschnikow, oder was ist das?«
»Dragunow. Höchstwahrscheinlich jedenfalls.«
»Mein ich doch.«
»Sind das die Dinger, wie sie die Heckenschützen auf dem Balkan verwendet haben?«, fragte Wallner.
»Ja. Gutes, stabiles Teil. Nicht allerletzte Präzision, aber ganz okay.«
»Auf welche Entfernung trifft man damit noch?«
»Kommt drauf an, wer schießt. Aber ich tät mal sagen: Für an geübten Scharfschützen ist die Dragunow bis achthundert Meter gut.«
»War das etwa die Entfernung hier?«
»Eher weniger. Halber Kilometer vielleicht.«
»Aber da muss einer trotzdem gut sein, oder? Halber Kilometer?« Wallner wandte sich an Mike.
»Ist schon ganz ordentlich. Aber net ungewöhnlich. Den Rekord hält irgendein Kanadier. Der hat in Afghanistan an Taliban auf zweieinhalb Kilometer erschossen. Das hier sieht auch nach am Profi aus.« Mike kannte sich aus in der Materie. Er hatte eine Ausbildung zum SEK -Scharfschützen gemacht, war aber nie zum Einsatz gekommen, weil er Zweifel hatte, ob er bei einem »finalen Rettungsschuss« wirklich abdrücken würde.
Wallner betrachtete noch einmal die Leiche. »Ist das der Kummeder?«
»Ja. Hat seinen Ausweis dabeigehabt.«
»Wer bezahlt einen Profi, dass der den Kummeder abknallt? Die Liga war der doch gar net«, sagte Mike.
»Wir wissen ja gar nicht, ob’s ein Profi war.« Wallner hielt den Beutel mit der Kugel vor seine Augen und betrachtete das Projektil. Dann fiel sein Blick auf das kleine Bierfass, das immer noch an der Kapellenwand stand. »Hat der Kummeder das hochgetragen?«
»Schaut so aus«, sagte Lutz. »Wir waren’s nicht.«
»Seltsamer Tatort, oder?« Wallner sah hinunter auf die bewaldete Umgebung des Riedersteins, dann weiter zum Tegernsee unten im Tal.
»Das macht schon Sinn«, meinte Lutz. »Wennst weißt, dass das Opfer zu einer bestimmten Zeit hier oben ist, dann kannst dich ganz gemütlich auf die Lauer legen, hast freies Schussfeld und musst kaum mit Überraschungen rechnen.«
Wallner betrachtete den Tatort,
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